Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gejagte

Die Gejagte

Titel: Die Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
Vom Netzwerk:
Leinenbluse hing schlaff herunter und der helle fließende Baumwollrock war staubig und voller Grasflecken.
    »Rechts oder links – entscheidet euch«, sagte sie und sah sich im Flur um.
    »Links«, entschied Dee energisch, ging voran und folgte den spitzen Kehren im Zickzack.
    Die Spiegel waren verwirrend. Wo immer auch Jenny hinschaute, wurde ihr Bild zurückgeworfen, von Spiegel zu Spiegel, sodass sie sich selbst kommen und gehen sah. Reflektiert bis in alle Ewigkeit. Wenn man lange genug an diesem Ort bleibt, vergisst man vielleicht, welche Person man wirklich ist, dachte sie.
    So zog sich dieser Flur endlos dahin, ohne eine einzige Abweichung von diesem Zickzack-Muster. Es war nervenaufreibend, nur bis zum letzten Knick zurückblicken zu können und nicht zu wissen, was einen hinter dem nächsten erwartete. Bilder des Kriechers und des Schleichers gingen Jenny durch den Sinn.
    »Dee, mach langsam «, mahnte Jenny, als Dees lange, leichte Schritte sie schon zum dritten Mal außer Sichtweite trugen. Dee stürzte sich in die Ecken hinein und wieder heraus wie ein Skifahrer auf Slalomkurs, während sich die anderen langsam mit ausgestreckten Händen vorantasteten,
um die Spiegelbilder von der Realität unterscheiden zu können.
    »Nein, ihr beeilt euch bitte …«, ertönte Dees Stimme hinter dem nächsten Knick – und dann zuckte ein Blitz.
    Er schien von überall gleichzeitig zurückgeworfen zu werden, aber Jenny glaubte, dass er von vorn kam. Sie, Audrey und Michael standen für einen Moment wie erstarrt da, dann eilten sie weiter.
    Dee hatte die Hände in die Hüften gestemmt und stand vor einer Tür. Sie war ebenso verspiegelt wie die Wände, aber Jenny vermutete, dass es eine Tür sein musste, weil sich daneben ein roter Knopf wie an einem Aufzug befand. Als sie genauer hinschaute, konnte sie tatsächlich die Umrisse der Tür von dem Spiegel rundherum unterscheiden.
    Über dem roten Knopf war eine blaue Glühbirne, dick und rund wie eine Clownsnase.
    »Sie ist gerade erst aufgetaucht«, sagte Dee und schnippte mit den Fingern. »Einfach so. Mit diesem Blitz.«
    Da hörten sie das Wimmern.
    »Summer!«, riefen Jenny, Dee und Audrey gleichzeitig.
    Summer kauerte gleich um die nächste Ecke, die Beine unter ihr porzellanblaues Shirtkleid gezogen, die Locken wie Zuckerwatte auf ihren verschränkten Armen. Als die Mädchen näher kamen, blickte sie mit einem kleinen, hysterischen Schrei auf.
    »Seid ihr es wirklich?«
    »Ja«, antwortete Jenny und kniete sich hin. Der Ausdruck in Summers Augen machte ihr ein wenig Angst.

    »Wirklich? Wirklich ihr?«
    »Ja. Oh, Summer.« Besorgt legte Jenny die Arme um das kleinere Mädchen und spürte, dass sie zitterte.
    »Ich war so lange allein hier und habe ständig nur mich selbst gesehen, und dann dachte ich manchmal, es wären auch andere Leute da, aber wenn ich auf sie zulief, waren sie weg …«
    »Wen hast du gesehen?«, hakte Jenny nach.
    »Manchmal Zachary – und manchmal ihn. Er macht mir Angst, Jenny.« Summer vergrub ihr kleines Gesicht in Jennys Weste.
    Mir macht er auch Angst, dachte Jenny. »Jetzt gibt es nichts mehr, wovor du dich fürchten müsstest«, sagte sie laut. »Wir sind wirklich hier. Siehst du?«
    Summer brachte ein blasses Lächeln zustande.
    »Armer Sonnenschein«, murmelte Michael. »Ich schätze, als Nächstes ist wohl dein Albtraum an der Reihe.«
    »Gut gemacht, Mr Taktvoll«, sagte Dee leise.
    Sie erklärten Summer die Sache mit den Albträumen. Sie war nicht so beunruhigt, wie Jenny es eigentlich erwartet hätte.
    »Alles, um hier wegzukommen«, sagte sie.
    »Kann ich gut verstehen. Ich bin erst seit zwanzig Minuten hier und hasse diesen Ort jetzt schon«, erwiderte Dee. »Hat irgendjemand Lust auf Klaustrophobie?«
    Jenny hatte bereits einen Finger auf den Knopf neben der Tür gelegt, zögerte jedoch noch. »Ich nehme nicht an,
dass du uns erzählen willst, welchen Albtraum du gezeichnet hast«, meinte sie. Sie hatte nicht viel Hoffnung, keiner der anderen hatte etwas erzählt.
    »Okay«, sagte Summer bereitwillig. »Es war ein unordentliches Zimmer.«
    »Ein unordentliches Zimmer ?«, wiederholte Michael. »Oh, Horror.«
    »Nein, wirklich, Summer«, fuhr Audrey mit ihrer energischen erwachsenen Art dazwischen. »Es wird uns helfen, wenn du es uns sagst.«
    Dees Augen blitzten erheitert auf.
    »Ich sage es euch doch. Es ist ein unordentliches Zimmer.«
    »Schon in Ordnung, Summer«, sagte Jenny sanft. »Wir beschäftigen uns einfach

Weitere Kostenlose Bücher