Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
sich gegen die Stirn.
»Aber ja doch, natürlich. Wie dumm von mir …«
»Philippe hat sie als Übersetzerin angeheuert. Und sie macht ihre Sache sehr gut. Sie hat den ganzen Sommer für uns gearbeitet. Und nach den Ferien habe ich sie mit einem Verleger zusammengebracht, der sie eine Biografie von Audrey Hepburn hat übersetzen lassen. Er ist voll des Lobes. Eleganter Stil. Einwandfreie Arbeit. Pünktlich abgeliefert, ohne einen einzigen Rechtschreibfehler und so weiter und so fort! Außerdem ist sie nicht teuer. Sie will nicht einmal im Voraus wissen, wie hoch ihr Honorar ist. Hast du so etwas schon mal erlebt? Sie diskutiert nicht, sondern nimmt ihren Scheck, es fehlte nicht viel, und sie würde einem beim Abschied noch die Füße küssen. Ein stilles, fleißiges Bienchen. Seid ihr zusammen aufgewachsen, oder wurde sie im Kloster erzogen? Sie würde zu den Karmeliterinnen passen.«
Caroline Vibert lachte. Iris verspürte plötzlich den Drang, sie zurechtzuweisen.
»Du hast recht, sorgfältige Arbeit, Güte und Bescheidenheit sind selten geworden … Aber so ist meine kleine Schwester nun mal.«
»Das war doch nicht böse gemeint!«
»Nein, aber du tust so, als wäre sie etwas zurückgeblieben …«
»Ich wollte dich nicht kränken, es sollte bloß ein Scherz sein.«
Iris besann sich. Sie durfte es sich mit Caroline Vibert nicht verderben. Sie war vor Kurzem zur Partnerin ernannt worden. Philippe schätzte sie sehr. Sie war es, die er um ihre Meinung bat, wenn er bei einem Fall nicht weiterkam. »Sie regt meine Neuronen an«, pflegte er mit einem müden Lächeln zu sagen, »wenn sie mir zuhört, hat es fast den Anschein, als würde sie sich Notizen machen, sie nickt, ordnet durch ein, zwei Fragen die Fakten, und plötzlich ist alles klar. Außerdem kennt sie mich mittlerweile so gut …« Vielleicht wusste Caroline Vibert ja etwas über Philippe? Iris schluckte ihren Ärger hinunter und beschloss, vorsichtig die Fühler auszustrecken.
»Ach was, nicht so schlimm … Ist schon in Ordnung! Ich mag meine Schwester sehr, aber ich muss zugeben, dass sie mir manchmal furchtbar antiquiert vorkommt. Sie arbeitet beim CNRS, weißt du, und das ist eine völlig andere Welt.«
»Seht ihr euch oft?«
»Nur bei Familienfeiern. Dieses Jahr verbringen wir zum Beispiel Weihnachten zusammen im Chalet.«
»Das wird deinem Mann guttun. Er ist ziemlich angespannt im Moment. Manchmal ist er vollkommen abwesend. Neulich bin ich in sein Büro gegangen, nachdem ich mehrmals geklopft hatte. Er hatte mich gar nicht gehört, er saß einfach nur da und schaute durchs Fenster nach draußen auf die Bäume …«
»Er arbeitet zu viel.«
»Eine gute Woche in Megève, dann ist er wieder auf der Höhe. Aber du musst ihm verbieten zu arbeiten. Nimm ihm den Laptop und das Handy weg.«
»Unmöglich«, seufzte Iris, »die nimmt er sogar mit ins Bett. Und schläft darauf!«
»Das ist bloß die Erschöpfung, denn wenn er an seinen Fällen sitzt, ist er so wach wie eh und je. Er ist sehr verschlossen. Man weiß nie so genau, was er wirklich denkt, aber er ist loyal und aufrichtig. Und das kann man wirklich nicht von allen in dieser Kanzlei behaupten.«
»Sind neue Haie ins Becken gekommen?«, fragte Iris, während sie die Orangenscheibe aus dem Glas fischte und zerpflückte.
»Ein Junger, so karrieregeil, dass es fast wehtut … Maître Bleuet! Kornblume! Der Name passt ganz und gar nicht zu ihm, das kannst du mir glauben. Er klebt ständig an Philippe, um sich bei ihm lieb Kind zu machen, tut zuckersüß und nett, aber du spürst genau, dass er hinter deinem Rücken schon das Messer wetzt. Er will sich nur um wichtige Mandanten kümmern …«
»Und was ist mit Philippe?«, fiel Iris ihr ins Wort. »Mag er ihn?«
»Er findet ihn tüchtig, gebildet, kompetent … Er unterhält sich gern mit ihm, kurzum, die rosarote Brille, kein Wunder, er ist ja noch nicht lange da, aber ich kann dir versichern, ich habe den Hai gewittert und halte die Harpune bereit.«
Iris lächelte. »Verheiratet?«, fragte sie sanft.
»Nein. Er hat eine Freundin, die ihn abends manchmal abholt … Vielleicht ist es auch nur seine Schwester. Schwer zu sagen. Sogar sie behandelt er von oben herab! Philippe jedenfalls will, dass seine Leute ackern. Er verlangt Ergebnisse. Obwohl… er wirkt etwas menschlicher in letzter Zeit. Nicht mehr so streng wie früher … Neulich Abend habe ich ihn während eines Meetings dabei überrascht, wie er vor sich hin
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