Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
zuhauf.
Caroline hatte aufgehört, mit dem Strohhalm in ihrem Orangensaft zu spielen.
»Ich frage mich, warum ich überhaupt mein Leben beim Schlussverkauf riskiere, ich gehe doch eh nie aus dem Haus, bis auf sonntagmorgens, wenn ich mir im Jogginganzug mein Baguette hole!«
»Und genau das ist der Fehler. Du solltest Givenchy anziehen, um dein Baguette zu holen. Sonntagmorgens gehen doch alle zum Bäcker, da stehen die Chancen gut, jemanden kennenzulernen.«
»Das glaubst auch nur du! Familien, die ihre Croissants kaufen, alte Omis, die sich nicht zwischen einem Blätterteigteilchen und einem Mürbteigtörtchen entscheiden können, weil sie Angst haben, ihr Gebiss zu zerbrechen, und fette Teenies, die sich die Taschen mit Süßigkeiten vollstopfen. Bill Gates oder Brad Pitt laufen mir da mit Sicherheit nicht über den Weg. Nein, mir bleibt nur noch das Internet … Aber ich kann mich einfach nicht dazu durchringen. Meine Freundinnen versuchen es so, und manchmal klappt es auch … Dann lernen sie jemanden kennen.«
Caroline Vibert plauderte weiter, aber Iris hörte nicht mehr zu. Sie musterte sie mit einer Mischung aus Zärtlichkeit und Mitgefühl. Geknickt wie ein Bilderhaken saß Caroline Vibert auf ihrem Stuhl, mit ihren Ringen unter den Augen und dem verbitterten Mund wirkte sie wie ein verhärmtes Mauerblümchen, während sie eine halbe Stunde zuvor noch eine Furie gewesen war, die rücksichtslos jeden über den Haufen geschossen hätte, um sich ein kleines cremefarbenes Seidenoberteil von Givenchy zu sichern. Suchen Sie den Fehler! Wo ist die Echte? In den Zweigen eines Baums verborgen wie auf den Rätselbildern, die ich als kleines Mädchen so gern gelöst habe. Irgendwo auf diesem Bild versteckt sich der böse Wolf, sucht ihn und rettet das ahnungslose kleine Rotkäppchen! Sie hatte den großen bösen Wolf immer gefunden.
»Ich darf nicht so lange mit dir reden«, sagte Caroline seufzend, »davon
werde ich ja depressiv. Normalerweise denke ich nie über all das nach. Vielleicht sollte ich noch mal zurückgehen und mein Leben bei Givenchy riskieren. Das stählt zumindest den Charakter … Aber nur, wenn die durchgeknallte Ziege mit dem Cutter verschwunden ist!«
Die beiden Frauen küssten sich zum Abschied.
Über Pfützen hinweghüpfend, kehrte Iris zu ihrem Taxi zurück. Sie dachte an die Krokolederstiefel und war froh, sie gekauft zu haben.
Vom trockenen Taxi aus beobachtete sie Caroline Vibert, die sich in die Schlange am Taxistand an der Place de l’Alma einreihte. Es regnete, und die Schlange war lang. Sie hatte ihre Einkäufe schützend unter den Mantel geschoben. Sie sah aus wie eine dieser Hauben, die man über die Teekanne stülpt, um den Tee warm zu halten. Iris wollte ihr gerade anbieten, sie nach Hause zu fahren, und beugte sich schon zum Fenster, um sie zu rufen, als ihr Handy klingelte. Diesmal ging sie ran.
»Ja, Alexandre, was ist denn, Schatz? Warum weinst du, mein Liebling … Sag schon …«
Ihm war kalt, er war nass bis auf die Haut. Er stand seit einer Stunde vor der Schule und wartete darauf, dass sie ihn abholte, um mit ihm zum Zahnarzt zu fahren.
»Was ist denn los, Zoé? Erzähl es Maman … Du weißt doch, eine Mutter versteht alles, verzeiht alles, eine Mutter liebt ihre Kinder sogar dann, wenn es blutrünstige Mörder sind … Das weißt du doch, oder?«
Stocksteif stand Zoé in ihrer Schottenkarohose da. Sie hatte einen Zeigefinger in ihr Nasenloch gesteckt und erkundete es hingebungsvoll.
»Man bohrt nicht in der Nase, Schatz … Auch nicht, wenn man furchtbar großen Kummer hat.«
Bedauernd zog Zoé den Finger heraus, musterte ihn prüfend und wischte ihn an ihrer Hose ab.
Joséphine warf einen Blick auf die Küchenuhr. Es war halb fünf. In einer halben Stunde war sie mit Shirley verabredet. Sie wollten zusammen zum Friseur gehen. »Ich bezahle dir den Haarschneider«, hatte Shirley gesagt, »ich habe ein hübsches Sümmchen eingenommen.
Und jetzt verwandle ich dich in eine Sexbombe.« Joséphine hatte die Augen aufgerissen wie eine Marsbewohnerin, die mit Lockenwicklern bedroht wird. »Eine Sexbombe? Willst du mich platinblond färben lassen?«
»Nein, nein, nur ein neuer Schnitt und Strähnchen, um ein paar Akzente zu setzen.«
Joséphine war beunruhigt.
»Du willst mich doch nicht zu sehr verändern, oder?«
»Nein, du wirst bildschön aussehen, und danach feiern wir alle zusammen Weihnachten, ehe du über die Festtage zu den Reichen und
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