Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
träumte. Wir waren gut zehn Leute im Besprechungsraum, alle standen in den Startlöchern, die Diskussion ging hin und her, wir warteten darauf, dass er entschied … Aber er war gar nicht anwesend. Vor ihm lag eine aufgeschlagene Akte, zehn Leute hingen an seinen Lippen, und er driftete einfach ab. Und dabei sah er so ernst aus, fast leidend. Es lag etwas Schmerzliches in seinem Blick… Ich arbeite seit zwanzig Jahren mit ihm zusammen, aber so habe ich ihn noch nie erlebt. Es war wirklich seltsam, von ihm bin ich eher den gnadenlosen Kämpfer gewöhnt.«
»Ich fand ihn noch nie gnadenlos.«
»Kein Wunder … Er ist dein Mann, und er ist verrückt nach dir. Er betet dich an! Wenn er von dir spricht, funkeln seine Augen wie der Eiffelturm. Ich glaube, er ist wahnsinnig beeindruckt von dir!«
»Ach komm, du übertreibst!«
Meint sie das ernst, oder will sie mich nur vom Hai ablenken?, fragte sich Iris und musterte Carolines Gesicht, während diese an ihrem Orangensaft nippte. Sie entdeckte keinerlei Anzeichen für Unaufrichtigkeit in der Miene der Anwältin, die sich nach diesen anstrengenden zweihundert Meter Schlussverkauf entspannte.
»Er hat mir erzählt, dass du einen Roman schreiben willst …«
»Das hat er dir erzählt?«
»Dann stimmt es also? Und hast du schon angefangen?«
»Noch nicht richtig … Ich habe eine Idee, mit der ich herumspiele.«
»Er wird dich jedenfalls unterstützen, das ist klar. Er ist nicht der Typ Mann, der seiner besseren Hälfte den Erfolg neidet. Nicht wie Maître Isambert. Seine Frau hat ein Buch geschrieben, und er ist fuchsteufelswild. Es fehlte nicht viel, und er hätte sie verklagt, um ihr verbieten zu lassen, etwas unter SEINEM Namen zu veröffentlichen …«
Iris antwortete nicht. Das, was sie die ganze Zeit befürchtet hatte, trat ein: Alle redeten über ihr Buch, alle machten sich Gedanken über
ihr Buch. Nur sie nicht. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, worüber sie schreiben sollte. Schlimmer noch: Sie traute es sich nicht zu! Sie konnte sich vorstellen, darüber zu reden, so zu tun, als ob, sich in dunklen Andeutungen über die Einsamkeit des Schriftstellers zu ergehen, über die Worte, die sich einem entziehen, die Angst vor dem weißen Blatt, die Leere im Gehirn, die Verzweiflung, über die Figuren, die sich selbst in die Geschichte hineindrängen, die einen am Ärmel zupfen … Aber sich wirklich an die Arbeit zu machen, ganz allein, in ihrem Arbeitszimmer! Unmöglich. Sie hatte eines Abends gelogen, um sich aufzuspielen, sich interessant zu machen, und jetzt schnappte ihre Lüge wie eine Falle über ihr zu.
»Ich würde zu gern einen Mann finden, der so ist wie deiner«, sagte Caroline, die ihren Gedanken fortführte, ohne Iris’ Unbehagen zu bemerken, und seufzte. »Ich hätte ihn mir schnappen sollen, bevor du ihn geheiratet hast.«
»Immer noch Single?«, fragte Iris und zwang sich, Interesse für Caroline Viberts Schicksal aufzubringen.
»Mehr denn je! Mein Leben ist eine einzige Party! Ich gehe morgens um acht aus dem Haus, komme abends um zehn zurück, mache mir eine Tütensuppe, und dann ab ins Bett zum Fernsehen oder mit einem anspruchslosen Roman … Aber keine Krimis, damit ich nicht bis zwei Uhr morgens warten muss, ehe ich weiß, wer der Mörder ist. Du siehst, mein Leben ist wahnsinnig aufregend! Kein Mann, keine Kinder, kein Lover, kein Haustier, dafür eine alte Mutter, die mich nicht erkennt, wenn ich sie anrufe! Letztes Mal hat sie behauptet, sie hätte nie ein Kind gehabt, und einfach aufgelegt. Ich habe Tränen gelacht …«
Sie lachte auf. Ein falsches Lachen, das ihre Einsamkeit und die Leere in ihrem Leben verbergen sollte. Wir sind gleich alt, dachte Iris, aber ich habe einen Mann und ein Kind. Einen Mann, der mir ein Rätsel ist, und einen Sohn, der dabei ist, eines zu werden! Was muss man in sein Leben aufnehmen, damit es lebenswert wird? Gott? Einen Goldfisch? Eine Passion? Das Mittelalter, so wie Jo … Warum hat sie mir nichts von diesen Übersetzungen erzählt? Warum hat Philippe nichts davon gesagt? Mein Leben löst sich auf, wird von einer unsichtbaren Säure zerfressen, und mir bleibt nichts anderes übrig,
als dem langsamen Zerfall tatenlos zuzusehen. Das letzte bisschen Energie, das mir noch bleibt, verschwende ich in den Schlachten des Schlussverkaufs, im ersten Stock bei Givenchy. Ich bin ein Luxusweibchen mit dem Grips einer Fabrikschlampe, solche wie mich gibt es in der Welt der Reichen und Schönen
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