Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
kommt!«
Marcel kam die Treppe herauf, gefolgt von einem korpulenten Mann, der bei jeder Stufe schnaufte. Sie betraten Josianes Büro. Marcel stellte ihnen Monsieur Bugalkofjew, einen ukrainischen Geschäftsmann, vor. Die beiden Frauen nickten lächelnd. Marcel warf Josiane einen zärtlichen Blick zu und küsste sie flüchtig auf den Kopf, nachdem der Ukrainer schon in sein Büro gegangen war.
»Alles in Ordnung, Choupette?«
Er hatte eine Hand auf ihren Bauch gelegt, doch Josiane schob sie mürrisch weg.
»Hör auf, mich wie ’ne Legehenne zu behandeln. Wenn du so weitermachst, leg ich tatsächlich noch ein Ei.«
»Immer noch nichts?«
»Seit heute Morgen?«, erwiderte sie mit einem ironischen Lächeln. »Nein, nicht das Geringste. Weit und breit niemand zu sehen …«
»Mach dich nicht lustig über mich, Choupette.«
»Ich mach mich nicht lustig, ich bin dein Getue langsam leid … Das ist ein Unterschied!«
»Hab ich noch Whisky in meinem Büro?«
»Ja, und in der Minibar ist Eis. Willst du den Ukrainer abfüllen?«
»Wenn er zu meinen Bedingungen unterschreiben soll, bleibt mir nichts anderes übrig!«
Er richtete sich auf und ging in sein Büro. Bevor er die Tür hinter
sich schloss, zischte er Josiane noch zu: »Und dass uns ja niemand stört, ehe ich ihn am Haken hab!«
»Verstanden … Auch keine Anrufe?«
»Nur wenn es dringend ist … Ich liebe dich, Choupette! Ich bin der glücklichste Mann auf der Welt.«
Er verschwand, und Josiane sah Ginette hilflos an. Was soll ich bloß mit so einem Mann machen?, schien ihr Blick zu fragen. Seit Marcel sie gebeten hatte, ein Kind von ihm zu bekommen, erkannte sie ihn nicht wieder. Über Weihnachten hatte er sie in Winterurlaub geschickt. Jeden Tag hatte er angerufen und sich erkundigt, ob sie auch richtig atmete, hatte sich Sorgen gemacht, als sie hustete, und sie gedrängt, sofort zum Arzt zu gehen, hatte sie angewiesen, viel rotes Fleisch zu essen, Vitamine zu schlucken, zehn Stunden pro Nacht zu schlafen und Orangen- und Möhrensaft zu trinken. Er hatte die neuesten Baby-Ratgeber gelesen, sich Notizen gemacht, sie am Telefon kommentiert und sich über die verschiedenen Möglichkeiten der Geburt informiert. »Und im Sitzen, hast du daran schon mal gedacht? So hat man früher die Kinder zur Welt gebracht, für das Baby ist das viel weniger anstrengend, es rutscht ganz sanft runter und braucht sich nicht abzustrampeln, um den Ausgang zu finden, wir könnten doch eine Hebamme suchen, die so was mitmacht, was hältst du davon?« Sie war stundenlang durch den Schnee gewandert und hatte über dieses Kind nachgedacht. Sie hatte sich gefragt, ob sie eine gute Mutter sein würde. Bei der Mutter, die ich selbst hatte … Wird man als gute Mutter geboren oder entwickelt sich das mit der Zeit? Und warum ist meine Mutter dann nie mütterlich geworden? Was ist, wenn ich, ohne es zu wollen, genauso werde wie sie? Sie erschauerte, zog den Mantelkragen enger und beschleunigte ihre Schritte. Erschöpft kehrte sie in das Vier-Sterne-Hotel zurück, in dem Marcel ein Zimmer für sie gebucht hatte, bestellte sich eine Suppe und einen Yoghurt aufs Zimmer, schaltete den Fernseher ein und schlüpfte unter die weichen, warmen Decken des riesigen Betts. Ab und zu dachte sie an Chaval. An Chavals schlanken, sehnigen Körper, an seine Hände auf ihren Brüsten, an seinen Mund, der sie biss, bis sie um Gnade flehte … Sie schüttelte den Kopf, um ihn aus ihren Gedanken zu vertreiben.
»Ich werd noch verrückt!«, seufzte sie laut.
»Sag mal, träum ich, oder hat Marcel ’ne Haartransplantation machen lassen?«
»Nein, du träumst nicht. Und einmal pro Woche lässt er sich in einem Kosmetikstudio die Haut reinigen! Er will der schönste Papa der Welt sein …«
»Ist das süß!«
»Nein, Ginette, das ist beängstigend!«
»Wie du meinst. Gibst du mir jetzt die Liste, die ich haben wollte? Ich hab ’ne Lieferung reinbekommen, und René will, dass ich prüfe, ob auch alles da ist …«
Josiane suchte in den Papierstapeln ihrer Ablage, fand den gewünschten Beleg und gab ihn ihr. Als Ginette Josianes Büro verließ, kam ihr Chaval entgegen.
»Ist sie da?«, fragte er, ohne auch nur zu grüßen.
»›Sie‹ hat auch einen Namen!«
»Hey, ist ja schon gut … Ich werd deine Freundin schon nicht fressen.«
»Pass ja auf, Chaval, ich warne dich!«
Er schubste sie mit der Schulter zur Seite und betrat Josianes Büro.
»Na, meine Schöne, stehst du immer noch auf
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