Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
alte Säcke?«
»Was geht’s dich an, mit wem ich vögele?«
»Nur die Ruhe! Reg dich nicht auf! Ist er da? Kann ich rein?«
»Er will unter keinen Umständen gestört werden.«
»Nicht mal, wenn ich eine wichtige Neuigkeit für ihn habe?«
»Genau.«
»Eine sehr wichtige Neuigkeit?«
»Er hat Besuch von’nem wichtigen Kunden. Dagegen kommst du mit deiner Neuigkeit nicht an, Spargeltarzan …«
»Das glaubst du.«
»Das weiß ich! Du kannst wiederkommen, wenn er Zeit für dich hat …«
»Dann ist es zu spät …«
Er machte auf dem Absatz kehrt und wartete darauf, dass Josiane ihn zurückrief. Als sie dazu keine Anstalten machte, drehte er sich beleidigt wieder um und fragte: »Willst du gar nicht wissen, worum es geht?«
»Du interessierst mich nicht mehr, Chaval. Dich auch nur anzusehen, kostet mich übermenschliche Kraft. Du bist erst seit zwei Minuten da, und ich hab schon Krämpfe.«
»Meine Güte, spielt sich unser Schätzchen heute wieder auf! Seit sie ins Bett vom Big Boss zurückgekrochen ist, gackert sie hochnäsig rum und spritzt ab vor lauter Selbstgefälligkeit.«
»Vor allem hat sie endlich ihre Ruhe. Und das, mein Kleiner, wiegt alle akrobatischen Nummern der Welt auf. Ich sprudle ganze Whirlpools voll vor Glück.«
»Ja, ja, die Freuden des Alters.«
»Hey, Ben Hur, halt den Wagen an! Bloß weil du drei Jahre jünger bist als ich, bist du noch lange kein straffer Jüngling mehr! Auch du gehst schneller am Stock, als du denkst.«
Er lächelte selbstgefällig, der schmale Schnurrbart, den er mit dem Rasiermesser nachzog, wirkte wie ein kleiner spitzer Hut über seinen Lippen.
»Er sagt dir ja eh alles, also kann ich’s dir auch gleich verraten: Ich mach mich vom Acker! Man hat mir die Leitung von Ikea Frankreich angeboten, und ich hab zugesagt …«
»Die haben dich eingestellt? Wollen die ihren Laden in die Pleite reiten?«
»Du brauchst gar nicht so blöd zu lachen! Du warst doch die Erste, die mich an die Spitze hieven wollte. So schlecht kann ich also nicht sein. Die waren scharf auf mich, Alte! Ich brauchte keinen Finger zu rühren, die sind hier angetanzt und haben mich an Ort und Stelle abgeworben. Doppeltes Gehalt, verschiedene Vergünstigungen, die haben mich mit Gold überhäuft, und ich hab Ja gesagt. Weil ich’n anständiger Kerl bin, wollte ich den Alten persönlich informieren. Aber du kannst es ihm auch ausrichten, wenn ihr beim Rammeln mal ’ne Pause einlegt … Und ich hätt gern einen Termin, um alles zu regeln. Am besten so schnell wie möglich, ich hab keine Lust, hier noch länger zu versauern. Ich riech ja schon nach Essig, das nervt … Und dann mach ich euch zwei fertig, Herzchen! So schnell könnt ihr gar nicht gucken!«
»Meine Güte, machst du mir Angst, Chaval, ich krieg ja ’ne richtige Gänsehaut.«
Sie musterte ihn verächtlich.
»Ach, wo wir gerade von Haut reden … Ich hab heute Morgen Mademoiselle Hortense kennengelernt. Hübsches kleines Ding! Die wackelt mit dem Hintern, dass es die Jeanne d’Arc versenken könnte …«
»Sie ist fünfzehn.«
»Wirklich …? Sieht aber gut und gern wie zwanzig aus! Das muss’n ziemlicher Schlag für dein Ego sein, was? Wo du doch selbst stramm auf die Wechseljahre zugehst …«
»Raus jetzt, Chaval, verschwinde! Ich sag ihm Bescheid, und dann meldet er sich bei dir …«
»Wie Sie wünschen, Gnädigste, und … übertreib’s nicht mit den kleinen blauen Pillen!«
Er lachte hämisch und ging hinaus.
Josiane zuckte mit den Schultern und schrieb eine Notiz für Marcel: »Termin mit Chaval vereinbaren. Hat Angebot von Ikea. Hat angenommen …« Sie dachte daran, dass sie sich vor nicht einmal einem Jahr in Chavals Armen gewälzt hatte. Dieser Mann hat etwas Böses, etwas durch und durch Verdorbenes an sich, das die Frauen anzieht und sie verrückt macht. Warum haben anständige Männer nicht die gleiche Wirkung auf mich? Vielleicht weil ich auch verdorben bin …
Marcel musterte die kleinen, zusammengekniffenen Augen des Ukrainers, der in einem alten Überzieher mit Hahnentrittmuster zusammengesunken auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch saß. Das Problem bei der Verlagerung ist, dass man ständig weiter verlagern muss, dachte er. Kaum hat man ein lukratives Land gefunden, wo die Löhne niedrig sind, wo es keine Sozialabgaben gibt und wo die Arbeitskräfte schamlos ausgebeutet werden, da tritt es in die EU ein oder so was, und schon lohnt sich das Ganze nicht mehr. Er verbrachte seine
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