Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
Kopf fallen.
Caroline Vibert öffnete die Tür zu seinem Büro.
»Na, ist dir eine Strategie für unseren Klienten eingefallen?«
»Nein, ich habe nur vor mich hin geträumt. Ich habe nicht die geringste
Lust zu arbeiten. Ich glaube, ich lade meinen Sohn zum Mittagessen ein, heute ist Mittwoch!«
Caroline Vibert blieb vor Überraschung der Mund offen stehen, und sie sah fassungslos zu, wie er Alexandres Handynummer wählte. Der Junge schrie vor Freude bei der Vorstellung, mit seinem Vater in sein Lieblingsrestaurant zu gehen. Philippe Dupin schaltete auf laut, damit die Begeisterung seines Sohnes im ganzen Raum widerhallte.
»Und danach gehen wir zusammen ins Kino, mein Sohn, und du darfst den Film aussuchen.«
»Nein«, rief Alexandre, »wir fahren in den Bois de Boulogne und üben Elfmeterschießen.«
»Bei dem Wetter? Wir werden bis zu den Knien im Schlamm stehen!«
»Doch, Papa, bitte! Du schießt aufs Tor, und wenn ich gut halte, lobst du mich.«
»Einverstanden, heute machen wir nur das, was du willst.«
»Yes! Yes!«
Maître Vibert zeigte Philippe einen Vogel, um anzudeuten, dass er vollkommen verrückt sei.
»Die französischen Socken können warten … Ich verschwinde. Ich habe einen Termin mit meinem Sohn.«
Als Erstes der Klang seiner Schritte im Hauseingang. Die blassgelben Steingutfliesen an den Wänden, die blaue Bordüre, der große Spiegel, in dem man sich von Kopf bis Fuß betrachten konnte, der Briefkasten, an dem noch die Visitenkarte mit ihren beiden Namen steckte, Monsieur und Madame Antoine Cortès, Joséphine hatte sie nicht ausgetauscht. Dann der Geruch im Aufzug. Es roch nach Zigaretten, altem Teppichboden und Ammoniak. Schließlich das Geräusch seiner Schritte im Flur auf ihrer Etage. Er hatte seine Schlüssel nicht dabei. Er hob den Zeigefinger, um anzuklopfen. Er glaubte sich zu erinnern, dass die Klingel nicht funktionierte, als er ausgezogen war. Vielleicht hatte sie sie repariert. Er hätte gern geklingelt, um es auszuprobieren, aber Joséphine hatte die Tür bereits geöffnet.
Sie standen einander gegenüber. Fast ein Jahr, schienen ihre Blicke zu sagen, während sie auf dem Gesicht des anderen ruhten. Vor einem
Jahr waren wir noch ein perfektes Paar. Verheiratet, zwei kleine Töchter. Was ist passiert, dass das alles zerbrochen ist? Beide stellten sich die gleiche stumme, verwunderte Frage. Und doch hat sich in diesem einen Jahr alles verändert, dachte Joséphine, während sie die faltige Säuferhaut unter Antoines Augen betrachtete, die geplatzten Äderchen in seinem Gesicht, die Falten, die sich über seine Stirn zogen. Er hat angefangen zu trinken, das ist es, dieses aufgedunsene Gesicht, die roten Flecken … Und doch hat sich nichts verändert, dachte Antoine und hätte am liebsten die blonden Strähnen gestreichelt, die Joséphines strafferes, schmaleres Gesicht einrahmten. Du bist schön, mein Liebling, hätte er gern gemurmelt. Du siehst müde aus, mein Freund, lag ihr auf der Zunge.
Aus der Küche drang der stechende Geruch von gebratenen Zwiebeln.
»Ich mache gerade Zwiebelhuhn für die Mädchen, das mögen sie so gern.«
»Ich dachte, ich könnte vielleicht heute Abend mit ihnen essen gehen, es ist so lange her, seit …«
»Das wird ihnen gefallen. Ich habe ihnen nichts gesagt, ich wusste nicht, ob …«
Ob du allein bist, ob du Zeit hast, mit ihnen zu essen, ob die andere bei dir sein würde … Sie schwieg.
»Sie müssen sich so sehr verändert haben! Geht es ihnen gut?«
»Anfangs war es etwas schwer für sie …«
»Und wie läuft es in der Schule?«
»Hast du ihre Zeugnisse nicht bekommen? Ich habe sie dir zuschicken lassen …«
»Nein. Sie müssen unterwegs verloren gegangen sein …«
Er wollte sich hinsetzen und nicht mehr reden. Ihr zusehen, wie sie das Zwiebelhuhn zubereitete. In Joséphines Gegenwart kam er zur Ruhe, sie hatte immer diese Wirkung auf ihn. Das war ihre Gabe, so wie andere Menschen heilen können, indem sie einem die Hand auflegen. Er wollte sich von der bedrohlichen Wendung erholen, die sein Leben im Augenblick nahm. Er hatte das Gefühl, immer mehr zu zerbröseln. Er spürte, wie sein ganzes Wesen verschwamm und sich in tausend Identitäten aufspaltete, die er nicht mehr beherrschte. In
tausend Verantwortlichkeiten, die zu schwer für ihn waren. Er war bei Faugeron gewesen. Dieser hatte gerade einmal zehn Minuten Zeit für ihn gehabt und währenddessen drei Anrufe entgegengenommen. »Entschuldigen Sie
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