Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
befahl Zoé. »Du bist viel zu dünn geworden, das sieht nicht schön aus, deine Grübchen sind weg.«
»Hast du die Diät von Madame Barthillet ausprobiert?«, fragte Shirley, während sie die Hähnchenbrust aufteilte.
»Ich habe den ganzen August über gearbeitet und nicht viel gegessen. Es war so heiß …«
Und ich habe die ganze Zeit in der Bibliothek nach Luca Ausschau gehalten, vor lauter Warten habe ich keinen Bissen mehr herunterbekommen.
»Ist das Buch nicht etwas zu früh erschienen?«, fragte Shirley.
»Der Verleger hat es vorgezogen, das Buch gleich nach den Ferien herauszubringen.«
»Dann muss er sich seiner Sache ja sehr sicher gewesen sein.«
»Oder ihrer! Und er hatte recht, wie man sieht …«, knurrte Jo.
»Hast du noch mal was von den Barthillets gehört?«, fragte Shirley, um das Thema zu wechseln.
»Nein, und das ist auch gut so.«
»Max ist nicht mehr zur Schule zurückgekommen«, sagte Zoé seufzend.
»Sehr gut. Er hatte einen sehr schlechten Einfluss auf dich.«
»Er ist kein übler Kerl, Jo«, mischte sich Gary ein. »Er ist nur total neben der Spur … Kein Wunder, mit seinen Eltern hat er nicht gerade das große Los gezogen! Jetzt kümmert er sich um die Ziegen seines Vaters. Auch nicht gerade das angenehmste Leben. Einer meiner Kumpel kennt ihn ganz gut, bei dem hat er sich gemeldet. Er geht nicht mehr zur Schule und macht jetzt in Käse! Good luck! «
»Wenigstens arbeitet er«, sagte Hortense. »Das ist ja heutzutage nicht selbstverständlich. Ich habe mich für das Wahlfach Theater angemeldet! Das wird mir helfen, mich später im Leben zu behaupten …«
»Als ob es dir an Selbstvertrauen mangeln würde«, prustete Shirley. »Ich an deiner Stelle hätte eher einen Kurs in Bescheidenheit belegt.«
»Sehr witzig, Shirley! Ich kann mich kaum noch halten vor Lachen.«
»Ich hab doch nur Spaß gemacht, Liebes …«
»Da fällt mir ein, Maman, ich muss ein paar Zeitschriften abonnieren, um mich über die neuesten Trends zu informieren. Gestern war ich mit einem Freund bei Colette, und es war total klasse!«
»Kein Problem, Schatz. Ich abonniere sie für dich … Aber was ist ›Colette‹?«
»Ein super angesagter Laden! Ich habe da eine umwerfende Prada-Jacke gesehen. Ein bisschen teuer, aber total schön … Hier würde ich damit natürlich auffallen, aber wenn wir erst in Paris wohnen, ist sie perfekt.«
Shirley ließ ihre Hähnchenkeule fallen und wandte sich Jo zu.
»Ihr wollt umziehen?«
»Hortense wünscht es sich so sehr und …«
»Ich will nicht nach Paris«, maulte Zoé, »aber mich fragt ja keiner!«
»Du würdest einfach hier wegziehen?«, fragte Shirley.
»Es war nur so ein Gedanke, Shirley. Vorläufig fehlt mir dafür ohnehin das Geld …«
»Das könntest du schneller haben, als du glaubst«, entgegnete Shirley mit einem Blick zum ausgeschalteten Fernseher.
»Shirley!«, schimpfte Joséphine, um sie zum Schweigen zu bringen.
»Tut mir leid … Das war der Schock. Du bist doch meine Familie … Ihr alle seid meine Familie. Wenn ihr umzieht, gehe ich mit.«
Zoé klatschte in die Hände.
»O ja, das wäre super! Dann mieten wir eine große Wohnung …«
»So weit ist es noch nicht«, beendete Joséphine die Diskussion. »Los, Kinder, esst, gleich ist alles kalt.«
Schweigend aßen sie ihr Hähnchen. Shirley bemerkte, dass das ein gutes Zeichen sei: Offenbar schmecke es allen. Dann begann sie mit einem weitschweifigen Monolog darüber, wo man am besten ein gutes, gesundes Masthähnchen kaufen könne, auf welche Gütesiegel man achten solle und was sie bedeuteten, über die Größe der Käfige, die Qualität des Futters … Erst das Klingeln eines Handys unterbrach ihren Redeschwall.
Als niemand Anstalten machte ranzugehen, fragte Joséphine: »Ist das deins, Gary?«
»Nein, ich habe es in meinem Zimmer gelassen.«
»Ist es deins, Shirley?«
»Nein, das ist nicht mein Klingelton …«
Daraufhin drehte sich Joséphine zu Hortense um, die in aller Ruhe zu Ende kaute, sich mit einem Zipfel ihrer Serviette den Mund abwischte und gleichmütig erklärte: »Das ist meins, Maman.«
»Und seit wann hast du ein Handy?«
»Ein Freund hat mir seins geliehen. Er hat zwei …«
»Und dieser Freund bezahlt auch deine Gespräche?«
»Seine Eltern. Die haben genug Kohle.«
»Das kommt überhaupt nicht in Frage. Du gibst es ihm sofort zurück, und ich kaufe dir ein eigenes …«
»Mir auch …«, bettelte Zoé.
»Nein. Du wartest, bis du
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