Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
genau, wie sie sich an diesem Tag fühlen würde. Sie bestellte jeden Tag ein continental breakfast und konnte sich trotz der Empfehlungen ihres Gynäkologen, der ab dem frühen Morgen zu Proteinen riet, nicht dazu durchringen, Eier zu essen. Dieses frittierte, fettige Zeug
können die Engländer behalten, sagte sie und hielt sich die Nase zu – sie hatte sich angewöhnt, Selbstgespräche zu führen, es war ja sonst niemand da, mit dem sie reden konnte. Sie brauchte morgens ein ordentliches Baguette, Butter, Honig und verschiedene Sorten Marmelade. Sie schnitt die goldbraune Haube des Brioche auf, knabberte ein wenig von der Kruste und legte sie dann zur Seite: Ach, wenn meine Mutter mich jetzt sehen könnte! Sie würde mich mit einer Ohrfeige zwingen, das ganze Ding zu essen, oder es sich in die Tasche stopfen.
In letzter Zeit dachte sie immer häufiger an ihre Mutter.
Zusammen mit dem Frühstück ließ sie sich die Tageszeitungen kommen, und während sie sie durchsah, schaute sie im Fernsehen die Sendung von Sophie Davant. Guten Morgen, Sophie, begrüßte sie sie, wie geht’s denn heute? Sie warf ihr eine Kusshand zu und lehnte sich zurück in die Kissen. Die ist keine von diesen eingebildeten Puten! Tief in die weichen Kissen versunken, schaute sie ihr genüsslich zu und unterhielt sich mit ihr. Ganz recht, Sophie, bei so einer Schlafmütze kann man bloß die Nase rümpfen! Wenn Sophie sich von ihr verabschiedete, stand sie auf, ging hinaus auf den Balkon und streckte die Arme in sämtliche Richtungen, um ihre Glieder zu dehnen. Anschließend duschte sie und ging nach unten ins Restaurant des Princes, wo sie die teuersten Gerichte bestellte. Sie wollte alles probieren, was sie nicht kannte. Hier hole ich meine Erziehung nach, hier lösche ich mein Unglück aus, hier stopfe ich die Lücken meiner Armut, dachte sie, während sie sich Kaviar auf einem Blini schmecken ließ.
Nachmittags ging sie aus. Machte einen Spaziergang und trug dabei den Nerzmantel, den sie bei einem Schaufensterbummel in der Avenue George V gekauft hatte. Das Gesicht der Verkäuferin, als sie ihre Platinkarte gezückt, »den will ich« gesagt und dabei auf das Schmuckstück gedeutet hatte. Was für ein Spaß. Sie ließ den Film wieder und wieder vor ihrem geistigen Auge ablaufen und konnte einfach nicht genug davon bekommen. Sie?, fragte die angewiderte Miene des Mädchens. Sie armes gewöhnliches Ding wollen diesen außergewöhnlichen Luxusartikel tragen? Ganz genau, ich, Choupette. Ich nehme jetzt Ihren Schicki-Micki-Kaninchenbalg mit! Sie musste zugeben, dass er den Rücken schön warm hielt. Die Reichen kennen sich aus, da kann man nichts sagen. Die sind Meister der Annehmlichkeiten.
Während wir uns mit wollenen Unterhemden herumquälen, kuscheln die sich in ihre Pelze.
Und so stolzierte sie in ihrem Luxuskaninchen durch die Straßen, schmiegte das Gesicht in den weichen Kragen, während sie die Avenue George V hinunterschlenderte, bog in die Avenue Montaigne ab und zückte jedes Mal, wenn ihr etwas ins Auge stach, die Platinkarte. Jedes Mal mit der gleichen unbändigen Freude angesichts der verkniffenen Mienen der Verkäufer und Verkäuferinnen. Davon konnte sie einfach nicht genug bekommen. Das und das und das, deutete der Finger, und – schwups! – zog sie die tödliche Waffe. Eine Einzige hatte mit einem strahlenden Lächeln geantwortet: »Sie werden viel Freude daran haben, Madame …« Sie hatte sie nach ihrem Vornamen gefragt und ihr einen hübschen Kaschmirschal geschenkt. Sie hatten sich angefreundet. Abends nach der Arbeit kam Rosemarie zu ihr, und sie aßen zusammen im Restaurant des Princes.
Sie war froh, endlich Gesellschaft zu haben. Manchmal fühlte sie sich einsam, und ein großer schwarzer Mantel senkte sich auf ihre Schultern herab. Vor allem abends. Und sie war nicht die Einzige. Es gab unzählige einsame Reiche bei George. So nannte sie das Hotel, in dem sie abgestiegen war: das George V. Hin und wieder blieb Rosemarie über Nacht. Sie legte den Kopf auf ihren Bauch und versuchte zu erraten, ob das Baby ein Junge oder ein kleines Mädchen werden würde. Gemeinsam suchten sie nach Namen. »Mach dir keine Gedanken, wenn es ein Junge wird, heißt er Marcel, bei einem Mädchen hab ich freie Auswahl.«
»Woher hast du eigentlich so viel Kohle?«, fragte Rosemarie, die sich über Josianes hohe Ausgaben wunderte.
»Von meinem Macker. Als er mich irgendwann wieder mal an Weihnachten allein gelassen hat, um mit dem
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