Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
bei einer Dinnerparty mit Philippe kennengelernt, als Joséphine noch beim Schreiben war. Sie hatte ihm mit bescheidener Miene zugehört und Chamfort erwähnt. Er war Experte für Chamfort. »Wer mit vierzig nicht Misanthrop ist, hat die Menschen nie geliebt.« Sie hatte ein gerührtes Wiedererkennen in seinen Augen aufleuchten sehen und nichts weiter gesagt.
Beim nächsten Roman muss Joséphine unbedingt einen gelehrteren Ton anschlagen, nicht mehr so schlicht. Diese Geschichte mit den aufeinanderfolgenden Ehemännern ist ja ganz nett, aber sie hat doch etwas von Kleinmädchenträumereien. Langfristig gesehen schadet mir das. Kein Wunder, dass die Leute mich für eine naive Gans halten! Das nächste Buch muss dunkler werden, dämonischer, weniger ans große Publikum gerichtet, aber trotzdem genauso klar.
Sie trat mit dem Fuß gegen den Stapel Zeitschriften und beschloss, sie zu ignorieren. Die nächste Stufe besteht darin, dass sie mich behandeln wie eine echte Schriftstellerin. Dass sie aufhören, mir diese dämlichen Fragen zu stellen! Was weiß ich denn über das Verhältnis von Mann und Frau? Ich bin seit fünfzehn Jahren verheiratet, so treu, dass es einem zum Hals raushängt, und der einzige Mann, den ich liebe, treibt sich wer weiß wo zwischen London, New York, Budapest, Südfrankreich und dem Norden Malis herum. Er reist durch die Welt, wie es ihm gefällt, gehört keinem Land, keiner Frau, unterbricht seine Dreharbeiten wegen Morddrohungen und kehrt lachend und sorglos zu Schauspielern zurück, die ihn verehren und für ihn durchs Feuer gehen würden! Er trägt immer die gleiche schmutzige Jeans und eine Wollmütze. Ein genialer Bohemien. Das hätte ich dieser blöden Kuh erzählen sollen! Gabor Minar. Der schöne, der berühmte Gabor Minar war mein Liebhaber, und ich liebe ihn immer noch. »Einer alten Liebe immer treu zu bleiben ist manchmal das Geheimnis eines ganzen Lebens.« Damit käme ich auf alle Titelseiten!
Gabor …
Sie würde ihn wiedersehen.
Philippe hatte ihr vorgeschlagen, mit ihm zum Filmfestival nach New York zu fliegen. Gabor würde dort sein. Er war der Ehrengast. Iris rollte sich unter ihrem Tuch zusammen und dachte nach: Ist es wirklich seine Liebe, der ich nachtrauere, oder ist es der Ruhm, die bekannten Persönlichkeiten und die Glitzerwelt, in der ich gelebt hätte, wenn ich mit ihm zusammengeblieben wäre? Als wir uns kennenlernten, war er noch ein Niemand. Meine Liebe ist mit zunehmender Entfernung und seiner wachsenden Berühmtheit immer größer geworden. Liebe ich Gabor vielleicht nur deshalb, weil er Gabor Minar geworden ist, der große, der weltberühmte Regisseur? Sie verscheuchte
diesen unbequemen Gedanken gleich wieder und besann sich: Sie waren füreinander bestimmt, die Hochzeit mit Philippe war ein Fehler gewesen. Ich werde ihn wiedersehen. Ich werde ihn wiedersehen, und dann wird sich womöglich mein ganzes Leben ändern. Was zählen schon fünfzehn Jahre Trennung, wenn man sich so sehr geliebt hat? Er wird keine Angst haben, er nicht! Er wird mich auf der Stelle entführen, mich mit Küssen überhäufen … Er überhäufte mich mit Küssen, als wir noch zusammen an der Columbia studierten. Sie rollte sich unter ihrem Tuch zusammen und betrachtete ihre perfekt manikürten Fingernägel.
Carmen riss sie aus ihren Träumereien, als sie ihr den Tee brachte.
»Alexandre ist aus der Schule zurück. Er hat siebzehn Punkte in seiner Mathearbeit.«
»Davon hat er mir ja gar nichts erzählt! Weiß er, dass ich in meinem Arbeitszimmer bin?«
»Ja, ich habe es ihm gesagt. Er hat geantwortet, dass er für morgen noch so viel zu tun hat. Der arme Junge arbeitet die ganze Zeit!«
»Er eifert seinem Vater nach …«
Iris streckte die Hand aus, nahm die Tasse mit heißen Tee, die Carmen ihr reichte, und ließ sich wieder zurücksinken.
»Er eifert ihm in allem nach. Und mir geht er aus dem Weg. Aber das ist normal in dem Alter. Der Vater wird zum Vorbild, die Mutter braucht man nicht mehr, alles ändert sich … Ach, was sind die Männer doch berechenbar, Carmen!«
Sie gähnte und hob mit einer eleganten Bewegung eine Hand vor den Mund.
Morgens wachte Josiane gegen neun Uhr auf, bestellte beim Zimmerservice ihr Frühstück, stellte sich auf die Waage, notierte ihr Gewicht, besprühte sich mit einer Wolke Parfüm, Chance von Chanel, legte sich wieder hin und hörte ihr Horoskop auf RTL. Die Astrologin irrte sich nie. Dank ihrer Vorhersagen wusste sie immer ganz
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