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Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)

Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)

Titel: Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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rauskommen …«
    »Eine halbe Stunde, Hortense, keine Minute länger!«
    »Meinetwegen!«, murrte Hortense und ging achselzuckend davon. Joséphine ging zu den Toiletten. Sie hatte noch nie so luxuriöse Waschräume gesehen. Ein kleiner Raum, durch eine rosa Aufschrift auf der grauen Tür als Powder Room bezeichnet, diente als Vorzimmer, von dem aus vier weitere perlgraue, von schmalen rosa Linien eingefasste Türen abgingen. Auf gut Glück öffnete sie eine davon und betrat einen runden, vollständig mit Marmor ausgekleideten Raum mit einem tiefen Becken, mit ringsum verteilten flauschigen Handtüchern, einem Flakon Eau de Toilette, kleinen Seifenstücken, Handcreme und Haarbürsten. Sie betrachtete sich im Spiegel. Ihr Gesicht sah fürchterlich aus. Ihre Lippen zitterten. Sie ließ Wasser ins Becken laufen und tauchte den Kopf hinein. Luca vergessen. Lucas Blick vergessen. Lucas kalten Blick vergessen, der sagte, ich kenne Sie nicht. Nicht mehr atmen, den Kopf unter Wasser halten. Aushalten, bis meine Lungen platzen. Unter Wasser ersticken, um zu vergessen, dass ich auf der Erde ersticke. Er wollte mich nicht erkennen. In Montpellier, unter Akademikern, da lässt er sich dazu herab, mich als seinesgleichen zu behandeln, aber unter der goldenen Deckenverkleidung dieses Luxushotels, inmitten dieser schönen Menschen, da ignoriert er mich. Ihre Lungen drohten zu platzen, aber sie hielt durch. Luca vergessen. Lucas kalten Blick vergessen. Diesen Blick … Weder feindselig noch gereizt, nein: einfach nur leer. Als
existierte ich nicht… Wenn ich mir jetzt Schmerzen zufüge, wenn ich meine Lungen mit so viel Luft fülle, dass mir das Trommelfell platzt, dann verdrängt der körperliche Schmerz den Schmerz der Seele. So hatte sie es auch als Kind immer gemacht, wenn sie Kummer hatte. Sie schnitt sich in den Finger oder versengte sich die Haut unter den Nägeln. Das tat so weh, dass sie darüber den anderen Schmerz vergaß. Sie pflegte den schmerzenden Finger, sprach mit ihm, hätschelte ihn, küsste ihn, und ihr ganzer Kummer floss in diese Küsse und löschte die Stimme ihrer Mutter aus, die sie von sich stieß und sagte: »Meine Güte, bist du ungeschickt, Jo, benimm dich gefälligst, nimm dir ein Beispiel an deiner Schwester!« Oder: »Joséphine ist so glanzlos im Vergleich zu ihrer Schwester, ich weiß wirklich nicht, was wir mit ihr machen sollen. Dieses Kind taugt einfach nicht fürs Leben.« Sie schloss sich in ihrem Zimmer ein, verletzte sich und tröstete sich anschließend. Es war ein Ritual, das sie vollzog, ohne zu wanken. Bleich, würdevoll, zornig. Und es funktionierte. Sie holte ihre Schulhefte heraus und machte sich wieder an die Arbeit. Ich gehe jetzt nach draußen zu Hortense und vergesse Luca. Erneut tauchte sie das Gesicht ins Becken und blieb dort, ohne zu atmen, bis sie es kaum noch aushielt. Sie schluckte Wasser, umklammerte den Rand des Beckens, aber sie tauchte nicht auf. Das Blut hämmerte in ihren Ohren, schlug gegen ihre Schläfen, sie spürte, wie ihre Kiefer zu explodieren drohten.
    Er hatte sie kühl gemustert, dann hatte er sich abgewandt und war gegangen. Als sei sie nichts wert, als existiere sie gar nicht.
    Sie riss den Kopf aus dem Becken, sodass das Wasser die blütenweißen Handtücher und die Verpackungen der Seifenstücke nass spritzte. Sie schlang die Arme um ihren Körper und umarmte sich. Ich sterbe, ich sterbe. Ihre Kehle schnürte sich zu, sie bekam keine Luft mehr, hob den Kopf, schnappte nach Luft. Im Spiegel sah sie das bleiche Gesicht einer Ertrunkenen, und die Erinnerung traf sie wie ein Schlag. Papa, Papas Arme, eine Kriminelle bist du, und sie selbst, Salzwasser spuckend und weinend … Ein Schauer des Entsetzens durchlief sie. Plötzlich war alles wieder da. Sie schwammen im Atlantik, sie, ihre Mutter und Iris, an einem Sommernachmittag im Südwesten. Ihr Vater war am Strand geblieben, er konnte nicht schwimmen. Ihre Mutter und ihre Schwester machten sich immer
über ihn lustig, rannten ins Wasser und stürzten sich in die Wellen, während er voller Scham am Ufer zurückblieb und sie ängstlich beobachtete. Schwimmt nicht zu weit raus, gebt auf die Strömung Acht, das ist gefährlich … Ihre Mutter war eine ausgezeichnete Schwimmerin. Sie schwamm los und verschwand mit kraftvollen, regelmäßigen Kraulschlägen in der Ferne. Als die Mädchen noch klein waren, hatten sie ihr stumm vor Bewunderung nachgesehen. Später hatte sie ihnen beigebracht, genauso zu

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