Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
einlassen wie auf einen Tanz. Nicht mitten in der Bewegung innehalten und dich selbst bemitleiden, den anderen die Schuld zuschieben, trinken, Pillen schlucken, um den Aufprall zu mildern. Tanzen, tanzen, tanzen. Die Hürden überwinden, die es dir in den Weg stellt, um dich stärker und entschlossener zu machen. Nach diesem Nachmittag am Meer hatte sie wie eine Besessene gearbeitet, hatte sich in ihr Studium gestürzt und sich ein Leben aufgebaut. Eine andere Welle hatte Antoine fortgerissen, aber sie hatte überlebt. Es würden noch weitere Wellen kommen, aber sie wusste, dass sie stark genug war, sie zu überwinden, und dass sie immer, immer wieder herausgefischt werden würde. So ist das Leben, sagte sie mit Bestimmtheit, während sie sich im Spiegel betrachtete. Wellen, immer wieder neue Wellen.
Sie betrachtete das Mädchen im Spiegel. Lächelte gelassen, beruhigt. Dann atmete sie einmal tief durch und ging nach draußen, um Hortense zu suchen.
Sonntagabend. Das Flugzeug nach Paris war gerade am Flughafen JFK gestartet, und Philippe betrachtete seine neben ihm liegende Frau. Seit dem Dinner gestern Abend im Waldorf-Astoria hatten sie kaum ein Wort miteinander gewechselt. Das große Abschlussdinner des New Yorker Filmfestivals. Sie hatten heute Morgen lange geschlafen und schweigend gefrühstückt. »Ich habe heute zwei Termine«, hatte Philippe gesagt, »sollen wir uns um fünf im Hotel treffen, um zum Flughafen zu fahren? Du kannst ja einkaufen gehen oder einen Spaziergang machen, das Wetter ist schön.« Sie hatte nicht geantwortet, wie eine steinerne Statue stand sie da in dem weißen Hotelbademantel. Ihre blauen Augen blickten ins Leere, und ihre schlanken Füße wippten langsam. Er hatte ihr Geld dagelassen, um ein Taxi zu nehmen oder ins Museum zu gehen. Sie haben sonntags geöffnet, du solltest die Gelegenheit nutzen. Bis er gegangen war, hatte sie kein Wort gesagt. Abends hatte sie ein Wagen zum Flughafen
gebracht. Zwei Plätze, First Class, nach Roissy-Charles-de-Gaulle. Kaum saßen sie im Flugzeug, hatte sie der Stewardess gesagt, dass sie nicht geweckt werden wolle. Sie hatte eine Maske über die Augen gezogen, den Kopf zu ihm hingedreht und gesagt: »Es macht dir doch nichts aus, wenn ich schlafe, ich bin todmüde. Das war das letzte Mal, dass ich für ein Wochenende nach New York geflogen bin.«
Er betrachtete seine schlafende Frau. Ohne ihre großen blauen Augen sah sie aus wie jede andere elegante Frau, die es sich in der ersten Klasse unter ihrer Decke bequem gemacht hatte. Er wusste, dass sie nicht schlief. Sie durchlebte noch einmal die Ereignisse des vergangenen Abends.
Ich weiß alles, Iris, hätte er am liebsten gesagt. Ich weiß alles, denn ich habe alles organisiert.
Die Ankunft in Manhattan. Die große Limousine, die sie zum Hotel gebracht hatte. Sie plapperte wie ein kleines Mädchen, wunderte sich über den strahlenden Sonnenschein im November, drückte Philippes Hand, deutete auf eine Werbetafel, ein bizarr gestaltetes Haus. Im Hotel hatte sie sich auf die Veranstaltungsseiten der Zeitungen gestürzt. Sie berichteten über die Ankunft von Gabor Minar, »dem großen europäischen Regisseur, dem Traum aller Schauspielerinnen. Es fehlt nur noch ein Vertrag mit einem großen amerikanischen Studio, um aus ihm den Großmeister des zeitgenössischen Kinos zu machen«, schrieb der Journalist der New York Times . »Doch das kann nicht mehr lange dauern. In eingeweihten Kreisen heißt es, er habe einen Termin mit Jo Schrenkel.« Sie las die Artikel von der ersten bis zur letzten Zeile und hob kaum den Kopf, um auf seine Fragen zu antworten. »Welche Filme möchtest du sehen?«, fragte er, während er im Programmheft des Festivals blätterte. »Such du aus«, antwortete sie mit einem abwesenden, nichtssagenden Lächeln, »das überlasse ich dir.« Am Samstag hatten sie mit Freunden, die ebenfalls aus Paris nach New York gekommen waren, im Bernardin zu Mittag gegessen. Iris sagte ja, nein, gute Idee, aber Philippe spürte, dass sie nur einem Ziel entgegenfieberte: ihrer Begegnung mit Gabor. Beim Ankleiden am ersten Abend hatte sie dreimal das Kleid, die Ohrringe, die Handtasche gewechselt. Zu elegant, sagte ihre gerunzelte Stirn, zu damenhaft, zu konventionell. Nach der Vorführung seines Films war Gabor
Minar nicht erschienen. Er hätte reden sollen, die Fragen der Zuschauer beantworten. Als die Lichter wieder angegangen waren, hatte einer der Organisatoren verkündet, dass er nicht
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