Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
hatten, die beiden Keramikvasen desselben Künstlers, für die sie eigens in sein Atelier auf Mallorca gefahren war. Und der lange, handgeschriebene Brief von Cocteau, in dem er über seine Beziehung zu Nathalie Paley schreibt … Deren Worte hallten in Iris’ Kopf wider. »Er wollte einen Sohn, aber er stellte sich bei mir so
geschickt an wie es ein durch und durch homosexueller, mit Opium vollgestopfter Mann eben kann …« Wenn sie Philippe verließ, würde sie all diese Schönheit verlieren. Wenn sie Philippe verließ, würde sie wieder ganz von vorn anfangen müssen.
Allein.
Schon das Wort ließ sie erschauern. Alleinstehende Frauen waren ihr ein Gräuel. Es gab so viele von ihnen! Ständig gehetzt, ständig abgerackert, blass, mit begierigem Blick. Das Leben ist heutzutage so beängstigend, dachte sie, während sie einen Schluck von ihrem Whisky trank. Die Atmosphäre ist erfüllt von einer schrecklichen Angst. Und wie sollte es auch anders sein? Man hält den Menschen ein Messer an die Kehle, zwingt sie, von morgens bis abends zu arbeiten, stumpft sie ab, drängt ihnen Bedürfnisse auf, die ihrem Naturell widersprechen, die sie verwirren, sie pervertieren. Man verbietet ihnen zu träumen, zu trödeln, sich Zeit zu lassen. Man reibt sie auf vor lauter Arbeit. Die Menschen leben nicht mehr, sie reiben sich auf. Langsam und qualvoll. Dank Philippe, dank Philippes Geld, genoss sie ein unvergleichliches Privileg: Sie rieb sich nicht auf. Sie nahm sich Zeit. Sie las, sie ging ins Kino, ins Theater, nicht so oft, wie sie gekonnt hätte, aber ihr genügte es. Seit Kurzem schrieb sie heimlich. Eine Seite pro Tag. Niemand wusste davon. Sie schloss sich in ihrem Arbeitszimmer ein und kritzelte Wörter, die sie, wenn die Inspiration auf sich warten ließ, mit Flügeln, Fliegenbeinen, Sternen verzierte. Sie kam nur mühsam voran. Schrieb La Fontaines Fabeln ab, las noch einmal die Charaktere von La Bruyère oder Madame Bovary , um sich darin zu schulen, das richtige Wort zu finden. Es war zu einem bald köstlichen, bald quälenden Spiel geworden, ein bestimmtes Gefühl auszumachen und es ins rechte Wort zu kleiden, welches es umschließen würde wie ein taillierter Mantel. Sie plagte sich in den vier Wänden ihres Arbeitszimmers. Und auch wenn sie die meisten Blätter, die sie vollschrieb, später fortwarf, musste sie zugeben, dass diese akribische Arbeit ihrem Leben eine gewisse Intensität verlieh. Sie hatte keine Lust mehr, es mit faden Mittagessen oder nachmittäglichen Einkaufsbummeln zu verschwenden.
Früher hatte sie geschrieben. Drehbücher, die sie verfilmen wollte. Doch damit hatte sie aufgehört, als sie Philippe geheiratet hatte.
Wenn ich wollte, könnte ich wieder anfangen zu schreiben … Wenn ich den Mut dazu hätte, natürlich … Denn es erfordert Mut, stundenlang allein dazusitzen und mit Worten zu spielen, ihnen kleine haarige Beine oder Flügel zu zeichnen, damit sie laufen lernen oder sich in die Lüfte aufschwingen.
Philippe … Philippe, wiederholte sie, streckte eines ihrer langen, gebräunten Beine aus und ließ die Eiswürfel in ihrem Whisky mit Perrier klirren, warum sollte ich ihn verlassen?
Um mich in diesen albernen Wettlauf zu stürzen? So zu werden wie die arme Bérengère, die nach Liebe lechzt? Auf keinen Fall! Nichts als Heulen und Zähneklappern. Wo sind die Männer?, schreit die Frauenmeute. Es gibt keine Männer mehr. Man kann sich nicht mehr verlieben.
Iris kannte ihr Gejammer auswendig.
Entweder sind sie attraktiv, männlich und untreu … dann bringen sie uns zum Weinen!
Oder sie sind eitel, selbstgefällig, impotent … dann bringen sie uns auch zum Weinen!
Oder es sind anhängliche, dämliche Trottel … dann bringen wir sie zum Weinen!
Und wir weinen, weil wir immer noch allein dasitzen und weinen …
Trotzdem sind sie unablässig auf der Suche nach ihm, trotzdem warten sie auf ihn. Heutzutage sind es die Frauen, die Männer jagen, die Frauen, die lauthals nach ihnen verlangen, die Frauen, die in Hitze geraten. Nicht die Männer! Sie rufen bei Partnervermittlungen an oder surfen im Internet. Das ist der letzte Schrei. Ich glaube nicht ans Internet, ich glaube an das Leben, an das lustvolle Leben, ich glaube an das Begehren, welches aus dem Leben entspringt, und wenn das Begehren versiegt, dann bist du seiner eben nicht mehr würdig.
Früher hatte sie das Leben geliebt. Vor ihrer Hochzeit mit Philippe Dupin hatte sie das Leben wie von Sinnen geliebt.
Und in
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