Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
hat meinen Namen ausgespuckt, als wärst du schon dabei, es abzutreiben. Und dabei hast du gelacht! Du bist so hässlich, wenn du lachst, so hässlich! Erzähl ihnen das doch auch! Sag ihnen die Wahrheit! Damit sie was lernen! Dass Männer zurückgebliebene Kinder sind! Dass man sie hin und her scheuchen kann, wenn man mit einem roten Tuch vor ihrer Nase herumwedelt! Sie marschieren in Reih und Glied wie Soldaten! Da fällt mir ein … Ich sollte ein Auge auf meine Choupette haben … Die Sache mit diesem Chaval gefällt mir gar nicht.
»Ich werde es genauso machen wie du. Ich werde arbeiten. Und ich werde allein zurechtkommen.«
»Du bist nicht allein, Joséphine! Du hast zwei Töchter, vergiss das nicht.«
»Das weiß ich, Maman. Du brauchst mich nicht daran zu erinnern.«
Iris lauschte ihrem Wortwechsel und dachte bei sich, dass sie womöglich bald in der gleichen Situation sein würde. Wenn Philippe, von aberwitzigem Mut erfasst, seine Freiheit verlangte … Plötzlich sah sie ihn als furchtlosen Musketier vor sich und musste lächeln. Nein! Sie waren beide im gleichen Netz gefangen: dem der Achtbarkeit. Sie hatte nichts zu befürchten. Warum hatte sie immer Angst, der Himmel könne ihr auf den Kopf fallen?
»Das erscheint mir doch etwas leichtsinnig, Joséphine. Ich war ja schon immer der Meinung, dass du zu naiv für die heutige Welt bist. Zu hilflos, du armes Ding.«
Da sah Joséphine rot. Die zahllosen Jahre, in denen sie sich diesen weinerlichen Ton hatte anhören müssen, begannen in ihr zu rattern wie Kugeln, die ihr Herz zerfetzten, und sie explodierte.
»Du kotzt mich an, Maman! Du kotzt mich an mit deinem wohlmeinenden
Gerede! Ich ertrage dich nicht mehr! Glaubst du wirklich, ich kaufe dir dein ehrenwertes Witwengetue ab? Glaubst du, ich wüsste nicht, was du mit Chef gemacht hast? Ich hätte deine erbärmlichen Manöver nicht durchschaut? Du hast Chef wegen seines Geldes geheiratet! Und nur deswegen hast du es geschafft! Nicht weil du so tapfer, so fleißig und so verdienstvoll warst. Also spar dir gefälligst deine guten Ratschäge. Wenn Chef arm gewesen wäre, hättest du ihn nicht eines Blickes gewürdigt. Dann hättest du dir einen anderen gesucht. Ich habe das von Anfang an gewusst, verstehst du? Und ich hätte es akzeptiert, ich hätte verstanden, dass du es für uns tust, ich hätte es sogar gut und großherzig gefunden, wenn du dich nicht ständig als Opfer hinstellen würdest, wenn du nicht ständig in diesem herablassenden Ton mit mir reden würdest, als wäre ich eine jämmerliche Versagerin … Ich habe genug von deiner Heuchelei, ich habe genug von deinen Lügen, ich habe genug von deinen ausgebreiteten Armen, von deinem Opfer … Davon, dass du mir ständig sagst, was ich zu tun und zu lassen habe, während du selbst bloß das älteste Gewerbe der Welt ausgeübt hast!«
Dann drehte sie sich zu Chef um, der inzwischen unverhohlen zuhörte.
»Es tut mir leid, Chef …«
Als sie sein liebes Gesicht mit dem vor Verblüffung offen stehenden Mund sah, als sie nicht nur das Lächerliche darin sah, sondern seine ganze Güte und Großzügigkeit, da durchzuckte sie das schlechte Gewissen, und sie konnte nur immer wieder stammeln: »Es tut mir leid, es tut mir so leid … Ich wollte dir nicht wehtun!«
»Mach dir nichts draus, kleine Jo, ich bin doch auch nicht auf den Kopf gefallen.«
Joséphine wurde rot. Sie hätte ihm diese Demütigung gern erspart, aber sie hatte sich nicht mehr beherrschen können.
»Es ist mir einfach rausgerutscht!«
Während sie diese offensichtliche Tatsache verkündete, hatte ihre Mutter sich schon stumm und bleich auf dem Sofa nach hinten sinken lassen und fächelte sich mit einer Hand Luft zu, als hätte ihr letztes Stündlein geschlagen, um so die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Joséphine sah genervt zu ihr hinüber. Gleich würde sie nach einem
Glas Wasser rufen, sich wieder aufrichten, verlangen, dass man ihr ein Kissen in den Rücken schiebe, stöhnen, zittern und ihr einen finsteren, mörderischen Blick zuwerfen, dessen Untertitel sie bereits zur Genüge kannte: »Mich so zu behandeln, nach allem, was ich für dich getan habe, ich weiß nicht, wie ich dir jemals verzeihen kann, wenn du mich tot sehen willst, dann brauchst du nicht mehr lange zu warten, ich sterbe lieber, als eine Tochter wie dich zu ertragen …« Sie verstand sich meisterhaft darauf, in anderen quälende Schuldgefühle zu wecken, bis man sich ihr zu Füßen warf und sie
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