Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
gehemmt gefühlt haben, so ohnmächtig angesichts der Vollkommenheit der Bäume, der Gebäude, der Vorhänge im Salon, dass er die Kontrolle über seinen inneren Thermostaten verloren und zu triefen begonnen hatte. Sie waren hastig ins Bad geflohen und hatten eine Wasserhahnexplosion vorgeschoben, um den kläglichen Zustand seines Jacketts und seines Hemds zu erklären. An jenem Abend haben sie uns vielleicht noch geglaubt, aber später war das nicht mehr möglich. Und ich liebte ihn dafür nur umso mehr! Ich verstand ihn so gut, triefte ich doch innerlich genauso.
Im Zimmer herrschte Schweigen, nur gelegentlich durchbrochen vom Rascheln der Zeitung, wenn Chef die Seiten umblätterte. Was mein kleines Zuckertäubchen wohl gerade macht?, fragte er sich erregt. Wie liegt sie da? Bäuchlings auf dem Sofa im Wohnzimmer und schaut eine dieser billigen Komödien, nach denen sie ganz verrückt ist? Oder liegt sie gemütlich im Bett wie ein dicker blonder Pfannkuchen? In dem Bett, in dem wir’s heute Nachmittag erst getrieben haben und wo … Er musste sofort damit aufhören. Ich hab schon einen Ständer, gleich sehen sie’s noch! Auf Geheiß des Zahnstochers hatte er eine Hose aus dünner grauer Gabardine angezogen, die ihn umschloss wie eine Wurstpelle und eine unschickliche Erektion noch zusätzlich betont hätte. Bei dieser Aussicht bekam er einen Lachkrampf, den er sich nach Kräften zu unterdrücken bemühte, und so zuckte er zusammen, als Carmen sich über ihn beugte und fragte: »Eine kleine Makrone zum Kaffee, Monsieur?«
Sie hielt ihm einen Teller mit Naschereien aus Schokolade, Marzipan und Karamell hin.
»Nein danke, Carmen, ich bin so vollgefressen, mir kommt’s gleich oben wieder raus!«
Henriette Grobz lief vor Ekel ein Schauer über den Rücken, und ihr Nacken versteifte sich, als sie ihn hörte. Chef war zufrieden. Die sollte bloß nicht vergessen, mit wem sie verheiratet war! Es bereitete ihm ein diebisches Vergnügen, sie immer wieder daran zu erinnern. Als wollte sie ihre stumme Missbilligung ausdrücken und den Abstand zwischen sich und Chef vergrößern, stand Henriette Grobz
auf und ging zu Joséphine ans Fenster. Die vulgäre Art dieses Mannes war ihre Strafe, das Kreuz, das sie zu tragen hatte. Auch wenn sie längst nicht mehr das Büro, das Schlafzimmer, das Bett mit ihm teilte, fürchtete sie stets, er könne sie anstecken, als trüge er einen gefährlichen Virus in sich. Sie musste wirklich in einer verzweifelten Lage gewesen sein, um einen derart ungehobelten Mann zu heiraten! Der auch noch kerngesund war. Seine Vitalität ging ihr zunehmend auf die Nerven. Manchmal ärgerte sie sich so sehr über sein fröhliches, energiegeladenes Auftreten, dass sie Herzrasen bekam und ihr das Atmen schwerfiel. Sie schluckte Tabletten, um sich zu entspannen. Wie lange muss ich ihn denn noch ertragen? Sie seufzte tief und zog es vor, ihre Aufmerksamkeit auf ihre Tochter zu richten, die ans Fenster gelehnt dastand und zu den Bäumen hinausblickte, deren Zweige sacht hin und her schwangen, nachdem endlich ein sanfter Wind aufgekommen war und ein wenig Kühlung brachte.
»Komm her, Liebes, wir müssen uns unterhalten«, sagte sie und zog sie zu einem Sofa an der Rückwand des Raums.
Sofort gesellte sich Iris zu ihnen.
»Also … Joséphine«, attackierte Henriette Grobz ohne Umschweife, »was hast du denn jetzt vor?«
»Weitermachen …«, erwiderte Joséphine verstockt.
»Weitermachen?«, fragte Henriette Grobz überrascht. »Womit weitermachen?«
»Na ja … äh … einfach weiterleben …«
»Also wirklich, Liebes …«
Wenn ihre Mutter sie »Liebes« nannte, wurde es ernst. Gleich würde sie wieder ihre ewig gleiche Leier aus Mitleid, Gardinenpredigt und gönnerhaften Ratschlägen abspulen.
»Außerdem … geht dich das gar nichts an!«, stieß sie hervor. »Das ist mein Problem.«
Die Antwort war ihr entschlüpft, bevor sie sie hatte zurückhalten können, und ihr Ton hatte eine Schärfe, die ihre Mutter von ihr nicht gewohnt war. Henriettes Miene verfinsterte sich.
»Wie redest du denn mit mir?«, entgegnete sie gekränkt.
»Hast du denn schon irgendwelche Pläne?«, mischte sich Iris mit ihrer sanften, beruhigenden Stimme ein.
»Ich plane, mit der Situation klarzukommen … und zwar allein«, antwortete Joséphine schroffer, als sie beabsichtigt hatte.
»Wie undankbar von dir! Wir bieten dir unsere Hilfe an, und du lehnst einfach ab«, versetzte Henriette Grobz spitz.
»Mag
Weitere Kostenlose Bücher