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Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)

Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)

Titel: Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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um Verzeihung anflehte, weil man es gewagt hatte, ihr zu widersprechen und sich gegen sie aufzulehnen. Joséphine hatte miterlebt, wie sie das erst bei ihrem Vater und dann bei ihrem Stiefvater getan hatte.
    Sie spielte mit dem Gedanken, zu Carmen in die Küche zu gehen, um ihre Fassung wiederzugewinnen. Sich das Gesicht zu waschen, sie um ein Aspirin zu bitten. Sie war erschöpft. Erschöpft, aber … glücklich, denn zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie es gewagt, sie selbst zu sein, Joséphine, diese Frau, die sie nicht besonders gut kannte, mit der sie seit vierzig Jahren lebte, ohne ihr wirklich Beachtung zu schenken, aber die sie jetzt endlich, endlich kennenlernen wollte. Zum ersten Mal stellte sich diese Frau gegen ihre Mutter, zum ersten Mal erhob sie die Stimme, wagte sie zu sagen, was sie dachte. Die Form war nicht sehr elegant gewesen – etwas gewöhnlich, etwas wirr, das gab sie gerne zu  –, aber der Inhalt hatte sie begeistert. Und wegen dieser Frau beschloss sie, ihren Standpunkt noch einmal unmissverständlich klarzumachen, ehe sie den Raum verließ.
    Sie wandte sich an ihre Mutter, die auf dem Sofa vor sich hin ächzte, und sagte leise, aber bestimmt: »Übrigens, ich habe noch etwas vergessen, Maman … Ich will nichts von dir, weder Geld noch irgendeinen Rat. Ich werde allein für mich und die Mädchen sorgen, und wenn wir dabei draufgehen! Hör mir jetzt gut zu, ich will dir etwas versprechen: Ich werde nie, nie wieder ein armes, verirrtes Entchen am Straßenrand sein, dem du Vorhaltungen machst, ehe du es wieder auf den rechten Weg führst! Denn weißt du was? Ich bin eine erwachsene, verantwortungsvolle Frau, und das werde ich dir auch beweisen.«
    Sie musste aufpassen: Sie konnte nicht mehr aufhören zu reden.
    Als sei ihr der Anblick ihrer Tochter plötzlich unerträglich, wandte
Henriette Grobz brüsk das Gesicht ab und stieß ein Grunzen aus. Verschwinden solle sie. Verschwinden! Ich kann nicht mehr! Ich sterbe …
    Die Vorhersehbarkeit der Reaktionen ihrer Mutter amüsierte Joséphine. Sie zuckte mit den Schultern und verließ den Salon. Als sie die Tür zum Flur öffnete, hörte sie einen leisen Aufschrei. Es war Hortense, die ein Ohr an die hölzerne Türfüllung gelegt hatte, um zu lauschen, und zurückgestoßen worden war.
    »Was machst du denn da, Liebes?«
    »Na super!«, erwiderte ihre Tochter. »Hast du dich endlich mal wichtig gemacht? Hoffentlich fühlst du dich jetzt besser.«
    Joséphine zog es vor, nicht darauf zu antworten, sondern flüchtete in den erstbesten Raum neben dem Salon. Es war Philippe Dupins Arbeitszimmer. Sie sah ihn nicht sofort, aber sie hörte seine Stimme. Er stand halb in den schweren roten, mit Borten besetzten Vorhängen verborgen und sprach mit leiser Stimme in sein Handy.
    »Oh, entschuldige!«, sagte sie, und schloss die Tür hinter sich.
    Er unterbrach sich sofort. Sie hörte, wie er »Ich rufe dich zurück« sagte, dann legte er auf.
    »Ich wollte dich nicht stören …«
    »Es hat etwas länger gedauert, als ich dachte …«
    »Ich wollte mich nur ein wenig erholen … von …«
    Sie strich sich über die von einem feinen Schweißfilm bedeckte Stirn und trat von einem Fuß auf den anderen, während sie darauf wartete, dass er ihr einen Platz anbot. Sie wollte ihn nicht belästigen, aber sie wollte auch auf keinen Fall zurück in den großen Salon. Er musterte sie einen Moment und fragte sich, was er jetzt sagen, wie er den Übergang schaffen sollte zwischen dem Gespräch, dass er gerade vorzeitig beendet hatte, und dieser linkischen, stotternden Frau, die ihn ansah und irgendetwas von ihm erwartete. Er fühlte sich immer unwohl in Gesellschaft von Menschen, die etwas von ihm erwarteten. Sie flößten ihm Widerwillen ein. Er war vollkommen unfähig, sich in andere hineinzuversetzen, wenn er dazu gezwungen wurde. Auf das geringste Eindringen in seine Privatsphäre reagierte er kalt und unwirsch. Joséphine tat ihm leid. Mitleid zu empfinden widerte ihn an. Auch wenn er sich sagte, dass er freundlich zu ihr sein und ihr helfen
müsse, hatte er nur einen Wunsch: sie so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Plötzlich kam ihm ein Gedanke.
    »Sag mal, Joséphine, sprichst du eigentlich Englisch?«
    »Englisch? Natürlich! Ich spreche Englisch, Russisch und Spanisch.«
    Aus lauter Erleichterung darüber, dass er endlich etwas sagte, dass er ihr eine persönliche Frage stellte, hatte ihre Stimme beim Aufzählen ihrer Kenntnisse einen

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