Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
im Ofen verschwunden. Iris
hatte sie über selbstreinigende Öfen schimpfen hören, die alles taten, nur nicht sich selbst reinigen. Sie hatte geglaubt, etwas wie »ordentlich schrubben« zu hören, gefolgt von einigem unverständlichem Gemurmel, ehe Babette wieder aufgetaucht war und gesagt hatte: »Vielleicht kann man im Leben einfach nicht alles haben. Ich hab Spaß und bin arm, und Sie langweilen sich zu Tode, aber dafür sind Sie reich.«
Nachdem sie die Küche verlassen und Babette allein vor dem Ofen zurückgelassen hatte, hatte Iris sich sehr einsam gefühlt.
Wenn sie doch wenigsten Bérengère anrufen könnte … Sie trafen sich nicht mehr, und es fühlte sich an, als wäre ein Teil ihres Körpers amputiert worden. Nicht der beste Teil, das nun nicht gerade, aber sie musste zugeben, dass sie Bérengère vermisste. Ihren Tratsch, den Kanalgeruch ihrer Gerüchte.
Ich habe immer auf sie herabgesehen, ich dachte, ich hätte mit dieser Frau nicht das Geringste gemeinsam, aber ich zappelte vor Ungeduld bei der Aussicht darauf, mit ihr zu tratschen. Es ist wie ein unbeherrschbarer Drang in mir, einer Perversion, die mich dazu treibt, das zu wollen, was ich am meisten auf der Welt verachte. Ich kann nicht widerstehen. Seit sechs Monaten treffen wir uns nicht mehr, rechnete sie nach, seit sechs Monaten weiß ich nicht mehr, was in Paris vor sich geht, wer mit wem ins Bett steigt, wer sein Vermögen verloren hat, wer nicht mehr angesagt ist.
Fast den gesamten Nachmittag hatte sie allein in ihrem Arbeitszimmer verbracht. Sie hatte eine Erzählung von Henry James wiedergelesen und war auf einen Satz gestoßen, den sie in ihr Notizbuch geschrieben hatte: »Was kennzeichnet seit eh und je die Männerwelt in ihrer Mehrheit? Zweifellos die Fähigkeit, endlos lange Zeit mit blöden, stumpfsinnigen Weibern zuzubringen – ich will nicht behaupten, ganz ohne sich zu langweilen, aber ohne die Langeweile als ärgerlich zu empfinden, ohne Knall auf Fall davonzulaufen, und so kommt’s auf das Gleiche hinaus.«
»Bin ich ein blödes, stumpfsinniges Weib?«, fragte Iris leise die Spiegeltüren ihres Kleiderschranks.
Der Spiegel blieb stumm. Daraufhin fragte sie noch leiser: »Wird Philippe Knall auf Fall davonlaufen?«
Der Spiegel kam nicht mehr dazu, ihr zu antworten. Das Telefon klingelte. Es war Joséphine. Sie wirkte völlig überdreht.
»Iris … Können wir reden? Bist du allein? Ich weiß, es ist schon sehr spät, aber ich muss unbedingt mit dir reden.«
Iris beruhigte sie: Sie störe sie nicht.
»Antoine hat den Mädchen einen Brief geschrieben. Er ist in Kenia und züchtet Krokodile.«
»Krokodile? Ist er verrückt geworden?«
»Aha, du siehst das also genau wie ich.«
»Ich wusste gar nicht, dass Krokodile gezüchtet werden.«
»Er arbeitet für Chinesen, und …«
Joséphine schlug vor, ihr Antoines Brief einfach vorzulesen. Iris hörte zu, ohne sie zu unterbrechen.
»Na, was hältst du davon?«
»Ganz ehrlich, Jo: Er hat den Verstand verloren.«
»Das ist aber noch nicht alles.«
»Er hat sich in eine einbeinige Chinesin in kurzen Hosen verliebt?«
»Kalt, ganz kalt.«
Joséphine lachte laut auf, und Iris war zufrieden. Es war ihr lieber, dass Joséphine diese neue Wendung ihres Ehelebens mit Humor nahm.
»Neben seinem Brief an die Mädchen hat er noch eine Seite geschickt, die nur für mich bestimmt war … und du rätst nie, was passiert ist …«
»Was denn? Los, Jo … spann mich nicht auf die Folter!«
»Also gut, ich habe das Blatt in meine Schürzentasche gesteckt, du weißt schon, die große, weiße Schürze, die ich immer zum Kochen umbinde … Und als ich ins Bett gegangen bin, ist mir aufgefallen, dass ich den Brief in der Schürze gelassen hatte … Ich hatte ihn völlig vergessen … Ist das nicht fantastisch?«
»Was meinst du, Jo? Manchmal ist es wirklich schwer, dir zu folgen.«
»Das ist doch ganz einfach, Iris: Ich habe vergessen, Antoines Brief zu lesen. Ich habe nicht alles stehen und liegen lassen, um ihn zu lesen. Das heißt doch, ich bin auf dem Wege der Besserung, findest du nicht?«
»Das stimmt, du hast recht. Und was stand in seinem Brief?«
»Warte, ich lese ihn dir vor …«
Iris hörte Papier rascheln, dann die helle Stimme ihrer Schwester:
»›Joséphine … Ich weiß, ich bin ein Feigling, ich bin weggelaufen, ohne Dir etwas davon zu sagen, aber ich hatte nicht den Mut, Dir gegenüberzutreten. Ich hatte ein zu schlechtes Gewissen. Hier werde ich
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