Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
natürlich!«
»Nun, es könnte durchaus sein, dass ich mich bald wieder mit Ihnen in Verbindung setze … Sie können sich in der Buchhaltung, ein Stockwerk höher, Ihren Scheck abholen.«
Als er ihr die Hand reichte, hatte sie sich daran festgeklammert wie eine Schiffbrüchige im tosenden Sturm an einem Rettungsboot.
»Auf Wiedersehen, Madame Cortès …«
»Auf Wiedersehen, Monsieur …«
Sie hatte seinen Namen vergessen. Sie war zum Aufzug gegangen. Zur Buchhaltung hochgefahren. Und dann hatte sie …
Sie konnte es immer noch nicht fassen.
Und jetzt, dachte sie, als sie die Bank verließ, auf ins Einkaufszentrum an der Défense, jetzt kaufe ich Geschenke für die Mädchen. Einen wahren Berg von Geschenken. Meinen kleinen Schätzchen wird es Weihnachten an nichts fehlen, besser noch: Sie werden genauso viel bekommen wie ihr Cousin Alexandre!
Achttausendundzwölf Euro! Achttausendundzwölf Euro …
Vor den Schaufenstern der Geschäfte riss sie die Augen auf und umklammerte das Portemonnaie mit ihrer Kreditkarte. Zoé verwöhnen, Hortense verwöhnen, sie mit Geschenken verzaubern und ein unauslöschliches Lächeln in die Gesichter dieser kleinen Mädchen
meißeln, die Weihnachten ohne ihren Papa verbringen müssten. Ich brauche nur die magische Karte zu zücken, und schon bin ich, Joséphine, alles auf einmal: Papa, Maman und der Weihnachtsmann zugleich. Dank mir werden sie wieder zuversichtlich durchs Leben gehen. Ich will nicht, dass sie unter den gleichen Ängsten leiden wie ich. Ich will, dass sie abends mit dem Gedanken einschlafen, Maman ist da, Maman ist stark, Maman passt auf uns auf, uns kann nichts passieren … Danke, Gott, dass du mir die nötige Kraft dafür gibst! Joséphine redete in letzter Zeit immer häufiger mit Gott. Ich liebe dich, Gott, beschütze mich, vergiss mich nicht, auch wenn ich dich so oft vergesse. Und manchmal schien es ihr, als lege er eine Hand auf ihren Kopf und streichle sie.
Sie schlenderte durch die mit Girlanden und Weihnachtsbäumen geschmückten Einkaufsgalerien, begegnete immer wieder dicken Männern mit rotem Umhang und weißem Bart, dankte Gott, den Sternen, dem Himmel und zögerte doch, eines der Geschäfte zu betreten. Ich muss Geld für die Steuern zurücklegen!
Joséphine verlor nicht leicht den Kopf.
Und doch … Innerhalb einer Stunde hatte sie ein Drittel ihres Schecks ausgegeben; ihr war schon ganz schwindlig. Es ist so verführerisch, alles zu nehmen: Zusatzausstattung, Kundendienst, ein Extra, das gerade im Angebot ist. Die Verkäufer schwirren um einen herum und betören einen mit sanften Gesängen wie einst die Sirenen Odysseus. Sie war diese Aufmerksamkeit nicht gewohnt, wagte nicht, Nein zu sagen, errötete, stotterte eine Frage, die rasch beiseite gewischt wurde, denn der Verkäufer hatte längst das leichte Opfer gewittert und steuerte sie von Versuchung zu Versuchung.
Für ein paar Euro mehr würde man ihr die erforderlichen Programme auf dem Computer installieren, für ein paar Euro mehr würde man ihr den DVD-Player regionalcodefrei schalten, für ein paar Euro mehr würde man ihr die Ware nach Hause liefern, für ein paar Euro mehr würde sich die Garantie auf fünf Jahre verlängern, für ein paar Euro mehr … Wie im Rausch antwortete Joséphine ja, natürlich, ja, gern, ja, Sie haben recht, ja, Sie können tagsüber liefern, ich bin immer da, wissen Sie, ich arbeite zu Hause. Am liebsten während der Schulstunden, damit meine Töchter nicht zu Hause sind, es soll doch
eine Weihnachtsüberraschung werden. Kein Problem, Madame, während der Schulstunden, wie Sie wünschen …
Ein wenig benommen, ein wenig besorgt hatte sie das Geschäft verlassen, doch dann hatte sie in der Menge ein kleines Mädchen gesehen, das Zoé ähnelte und mit glänzenden Augen das Schaufenster eines Spielzeugladens betrachtete. Ihr Herz hatte schneller geschlagen. Genau so werden meine Mädchen schauen, wenn sie ihre Geschenke auspacken, und diese begeisterten Gesichter werden mich zur glücklichsten Frau der Welt machen …
Sie war zu Fuß nach Hause gegangen und hatte sich gegen den Wind gestemmt, der durch die breiten Straßen der Défense peitschte. Es war halb fünf, es dämmerte bereits, und auf ihrem Weg leuchteten nach und nach die bleichen Straßenlaternen auf. Sie schlug den Mantelkragen hoch – ach, ich hätte mir auch einen wärmeren Mantel kaufen können – und senkte den Kopf, um sich vor dem eisigen Wind zu schützen. Er hat von
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