Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
erzählte seinem Freund alles: Chaval und Josiane beim Kaffeeautomaten, Henriette, die seitdem von ihm verlangte, Josiane zu feuern, und dass er selbst alle Freude am Leben und am Geschäftemachen verloren hatte.
»Ich muss mich sogar zwingen, morgens ’ne Hose anzuziehen. Am liebsten würd ich den ganzen Tag im Bett bleiben und die Blümchen am Vorhang zählen. Ich hab keine Lust mehr, alter Junge. Ist doch ganz einfach: Als ich die zwei gesehen hab, wie sie zusammenkleben, da hat’s mir meine Geburtsurkunde mitten in die Visage geknallt! Solange ich sie im Arm hatte, hab ich mir was vorgemacht, ich hab mir eingeredet, ich wär’n toller Hecht, die Welt wär zu klein für mich, ich würd ’ne neue chinesische Mauer bauen und ’ne Million kleine Chinesen fertigmachen! Ist echt nicht schwer – ich hab tatsächlich gefühlt, wie meine Haare wieder anfingen zu wachsen. Aber dann reicht ein einziges Bild, meine Choupette in den Armen von’nem anderen, Jüngeren, Schlankeren, Fitteren, und ich werd wieder kahl und fahr mit meinem Seniorenticket durch die Gegend! Von einem Moment
auf den anderen! Ich hab die Flossen hängen lassen, und mir war alles egal…«
Er fegte mit der Hand über seinen Schreibtisch und schleuderte Akten und Telefone auf den Boden.
»Was soll das alles hier noch, kannst du mir das verraten? Heiße Luft, Bluff, Fassade!«
Und als René schwieg, fuhr er fort: »So viele Jahre hab ich geschuftet, und wofür? Für ’n Scheißdreck! Du hast wenigstens deine Kinder, Ginette und ein Zuhause, wo sie abends auf dich warten … Ich hab meine Bilanzen, meine Kunden und meine Container mit Billigschrott. Ich schlaf auf’nem Sofa, ich ess am Ende des Tischs, ich furz und rülps nur, wenn’s keiner hört. Ich trag zu enge Hosen. Soll ich dir was sagen? Die schmeißt mich nur deshalb nicht raus, weil ich ihr noch nützlich sein kann, aber wenn’s damit erst mal vorbei ist …«
Er deutete ein Kügelchen an, das er mit dem Finger wegschnipste, und ließ sich schwer auf seinen Stuhl zurücksinken.
René schwieg einen Moment, dann begann er zu sprechen, ganz sanft, wie zu einem wütenden, bockigen Kind, das nicht zuhören will.
»Ich seh nur, dass es deiner Choupette auch nich besser geht als dir. Ihr seid wie zwei Robben, die auf dem Packeis gestrandet sind und sich gegenseitig die kalte Schulter zeigen. Sie und Chaval, das war doch nix Ernstes! ’N heißer Schub im Kreuz,’n Versuch, den Frühling herzuzaubern,’n Sahnestückchen, das einen anlacht und das man sich schnell mal hinter der Theke genehmigt. Erzähl mir nich, dass dir so was noch nie passiert ist.«
»Bei mir ist das was anderes«, protestierte Marcel wütend und schlug mit voller Wucht auf die Schreibtischplatte.
»Weil du’n Kerl bist? Vergiss es, Marcel, das Argument ist von anno Toback. Ob du’s glaubst oder nicht, die Frauen haben sich verändert. Die sind mittlerweile genau wie wir, und wenn ihnen so’n kleiner, gelackter Chaval am Arsch hängt, dann gönnen sie sich auch mal ’nen kleinen Spaß nebenbei, aber das hat doch überhaupt nix zu bedeuten. ’N Fliegenschiss ist das. Josiane mag dich! Brauchst doch nur zu sehen, mit welcher Elendsmiene sie hinter ihrem Schreibtisch sitzt. Hast du sie wenigstens mal angeguckt? Nein. Du marschierst stocksteif an ihr vorbei und siehst nix vor lauter Stolz. Hast du nicht gemerkt, wie dürr
sie geworden ist, dass die Pullis an ihr rumschlackern und ihre Haare seit Wochen keinen Friseur mehr gesehen haben? Hast du nicht gemerkt, dass sie sich die Backen rosa anpinselt? Das ist doch alles nur noch Schminke, sie kauft das Zeug im Sechserpack bei Monoprix, weil man sie sonst nicht mehr vom Bidet unterscheiden könnte!«
Stur und traurig schüttelte Marcel den Kopf. Also sprach René weiter auf ihn ein, mischte Spott und Mitgefühl, appellierte an Bauch und Verstand, um seinen alten Freund, der sich mit seiner Nylonstrumpfhose zu erdrosseln drohte, wieder ein wenig aufzurichten.
Plötzlich kam ihm ein Gedanke, und ein Funkeln trat in seine Augen.
»Du willst ja nich mal wissen, warum ich raufgekommen bin, obwohl ich geschworen hatte, kein Wort mehr mit dir zu reden. Du bist es dermaßen gewohnt, dass dir die Leute in den Arsch kriechen, dass du dich nicht mal mehr wunderst, wenn ich dir bis in dein Büro hinterherlaufe. Wenn du so weitermachst, bin ich bald richtig angefressen!«
Marcel sah ihn an und rieb sich mit einer Hand den Nacken.
»Tut mir leid … Wolltest du mir was
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