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Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)

Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)

Titel: Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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heilen nie, niemals. Du spielst die Stolze, hältst den Kopf hoch, aber dabei schlägt dein Herz wie wild …«
    Ihre Stimme war nur noch ein leiser Hauch, ein vertrauliches Wispern, das Marcel Grobz mit duftiger Watte erfüllte. Choupette, meine Choupette, es tut so gut, dich wieder zu hören, mein Mädchen, meine Schöne, meine goldene Amazone … sprich mit mir, sprich weiter, wenn du leise zwitscherst, wenn du die Worte zwirbelst wie eine Häkelnadel die Wolle, dann erstehe ich von den Toten auf. Das Leben
ist so leer ohne dich, es plätschert nicht mehr, es ist nicht mehr wert, morgens aufzustehen und aus dem Fenster zu schauen.
    Henriette Grobz war nach oben in Marcels Büro gegangen, und nachdem sie dort weder Josiane noch ihren Mann angetroffen hatte, hatte sie sich auf die Suche nach René gemacht. Sie entdeckte ihn im Lager, wo er aufgeregt mit einem Arbeiter debattierte, der sich am Kopf kratzte: Auf den oberen Regalen gab es keinen Platz mehr für weitere Paletten. Henriette wartete ein Stück abseits darauf, dass man ihr endlich Beachtung schenkte. Ihr Gesicht war zugekleistert wie ein frisch restauriertes Fresko, und der Hut thronte auf ihrem Kopf wie eine Trophäe, die sie dem Feind im Kampf entrissen hatte. René drehte sich um und bemerkte sie. Ein rascher Blick Richtung Büro beruhigte ihn: Die beiden Turteltäubchen waren abgetaucht! Er entließ den Arbeiter und fragte Henriette, was er für sie tun könne.
    »Ich suche Marcel.«
    »Der müsste in seinem Büro sein …«
    »Da ist er aber nicht.«
    Ihre Stimme klang ernst und schroff. René setzte eine überraschte Miene auf und gab vor nachzudenken, während er sie musterte. Der rosa Puder konnte die trockenen, gereizten Stellen in ihrem Gesicht nicht verdecken, und er betonte eher noch die feinen Fältchen um ihren Mund und die erschlaffenden Wangen. Ihr welkes Gesicht mit der Raubvogelnase rahmte einen Mund ein, der so schmal war, dass der Lippenstift über die verkniffenen Lippen hinausgezogen worden war. Henriette Grobz rang sich das gezwungene Lächeln einer Frau ab, die sich die Beine in den Bauch steht und im Gegenzug ein gutes Trinkgeld erwartet, doch gleich darauf dem unverschämten Kerl, der sie eine Sekunde lang hoffen ließ, sie würde ihren Obolus bekommen, vor Enttäuschung am liebsten ins Gesicht gespuckt hätte. Sie hatte sich René gegenüber zusammengerissen, weil sie geglaubt hatte, er würde ihr die gewünschte Information geben, doch als er ihre Erwartungen nicht erfüllte, gewann ihre übliche Feldwebelhaltung wieder die Oberhand, und sie drehte sich auf dem Absatz um. Mein Gott, dachte René, was für eine Frau! Als hätte sie ’nen Besenstiel verschluckt! Bei der sieht man auf den ersten Blick, dass sie weder an gutem Essen noch Trinken noch sonst was im Leben Spaß hat. Am
besten sollte man sie mit reichlich Dynamit in die Luft jagen! Alles an ihr ist beherrscht, alles riecht nach Zwang und Eigennutz; die starren Kleider und starren Gesten passen zu ihrem berechnenden Wesen. Alles perfekt festgezurrt in ihrem Korsett aus finanziellen Interessen.
    »Ich warte in seinem Büro auf ihn«, zischte sie im Gehen.
    »Alles klar«, antwortete René, »wenn ich ihn seh, sag ich ihm, dass Sie da sind.«
    Währenddessen kauerten Marcel und Josiane immer noch auf dem Boden seines dunklen Büros und sprachen sich aus.
    »Hast du mich mit Chaval betrogen?«
    »Nein, ich hab dich nicht betrogen … Nur einmal, abends, als ich so furchtbar deprimiert war, da hab ich mich hinreißen lassen. Mit ihm, weil er gerade da war … Aber es hätte jeder sein können.«
    »Dann hast du mich doch ein bisschen lieb?«
    Er war näher herangerückt, sein Oberschenkel lehnte nun an ihrem. Sein Atem war warm und ging stockend, weil er so zusammengekrümmt dasaß.
    »Ich liebe dich, mein dicker Bär, Punkt…«
    Sie seufzte und ließ den Kopf auf Marcels Schulter sinken.
    »Du hast mir ja so gefehlt!«
    »Du mir auch, das kannst du dir gar nicht vorstellen!«
    So saßen sie da, staunend, eng aneinandergeschmiegt, wie zwei Schüler, die heimlich ausgebüxt sind und sich verstecken, um zu rauchen. Sie flüsterten in der dunklen, nach nasser Wolle müffelnden Wärme.
    Schließlich verstummten sie und saßen nebeneinander, ohne sich zu rühren, ohne ein Wort zu sagen. Ihre Finger verflochten sich, erkundeten einander, erkannten sich wieder, und es war wie eine Landschaft aus ferner Kindheit, die Josiane in dieser Wärme und Zärtlichkeit wiederfand. Ihre

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