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Die gelehrige Schuelerin

Die gelehrige Schuelerin

Titel: Die gelehrige Schuelerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ira Miller
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Straße. Dann spürte ich, dass sie mich beobachtete. Wieder lag etwas von der alten Vertrautheit zwischen uns. Ich der Lehrer, sie die Schülerin. Und ich spürte auch etwas von ihrer alten, anfänglichen Bewunderung.
    Im Motel würde ich sie wieder so wie früher lieben. Ich würde alles bestimmen. Und wenn wir dann fertig wären, wenn sie sich ausgeglichen und zufrieden fühlen würde, wenn ich mein altes Selbstvertrauen und meine Stärke wiedererlangt haben würde, dann könnten wir miteinander reden und die Grenzen abstecken, und jeder würde deutlich machen, was er sich vorstellte.
    Wir erreichten Portland. Die Straße gabelte sich hier, und einige Hinweisschilder deuteten in Richtung Innenstadt und zum Flughafen. Ich blieb auf der I-5 und folgte den Schildern nach Seattle.
    Bald breitete sich unter uns der Columbia River aus, der die Grenze zwischen Washington und Oregon bildet. Ein bläuliches Schimmern ging von ihm aus. Ein riesiger Berg, rund und umfassend wie eine Eiscremekugel, war in der Ferne des Staates Washington zu sehen.
    Ich wusste nicht mehr, warum ich Seattle vorgeschlagen hatte. Ich wollte irgendetwas sagen. Im Klassenzimmer hatte Annie so ausgesehen, als wollte sie mir etwas mitteilen, das ich unter keinen Umständen hören wollte. Ich hatte nur den Wunsch verspürt, mit ihr abzuhauen.
    Es war schon dunkel, als wir uns der Stadt näherten. Seit viereinhalb Stunden befanden wir uns schon auf der Straße. Annie hatte unterwegs mal gefragt, ob sie fahren dürfe, aber ich hatte Lust gehabt, hinter dem Steuer zu bleiben. Seattle wirkte sogar nachts elegant. Vielleicht war es aber auch nur mein Wunsch, dass der Ort, in dem wir blieben, einmalig sein sollte.
    Ich fuhr den Wagen auf den Parkplatz eines Motels. Viele der Apartmentfenster waren beleuchtet. Als ich aus dem Wagen stieg und zur Empfangshalle hinüberging, fing ich plötzlich an zu frieren. Ich zog die Schultern hoch und schloss schnell den Reißverschluss meiner Strickjacke. Die Sonne war untergegangen und hatte einen kalten Abend zurückgelassen.
    Das Registrieren war kein Problem mehr. Darin war ich ja nun ein alter Hase. Ruhig unterschrieb ich mit
Mr. und Mrs. Holden Caulfield.
    Das Zimmer war sauber – mottenkugelsauber und steril –, aber lange nicht so ungemütlich wie der Raum in dem ersten Strandmotel mit den auf Samt aufgeklebten Stierkampfbildern. Zwei zusammenpassende Drucke mit Blumenmotiven hingen jeweils über einem der getrennt stehenden Betten. Ein Doppelbett hatten wir nicht arrangieren können. So schoben Annie und ich die Betten zusammen. Ich ging ins Bad und machte mich frisch. Annie durchsuchte die Nachttischschubladen nach Briefpapier, das sie als Erinnerung mit nach Hause nehmen könnte.
    »Lass uns essen gehen«, sagte sie.
    Da wir keine Lust zum Fahren mehr hatten, gingen wir einfach über die Straße in ein Restaurant mit dem Namen
Soup’s On.
    Wir bestellten beide Spargelkremesuppe und Quiche Lorraine. Jedes Essen kam zusammen mit warmen Brötchen, Käse, grünem Salat und einem Früchtebecher als Nachtisch.
    Stumm betrachteten wir die Einrichtung und die Wände, die mit allerlei Kitschsachen und dekorativen Drucken behängt waren. Annie fragte plötzlich in einem Anfall von Humor mit imitierter Witzeerzählerstimme: »Wie trennen die Griechen die Jungen von den Männern?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Mit einer Brechstange.«
    Sie bemerkte meinen mürrischen Gesichtsausdruck und lachte nervös.
    »Warum bist du jetzt gerade mit dem gekommen?«, fragte ich und dachte dabei an unsere frühere Unterhaltung über das Sexzentrum in Männerhintern.
    »Ach, ich weiß nicht. Du warst ziemlich still, und ich hab wohl nur versucht, die Stimmung etwas zu lockern.«
    Unser Humor war schon mal leichter und natürlicher gekommen.
    Ich fühlte mich gezwungen, einen Gegenwitz zu erzählen.
    »Da war mal dieses Bauernmädchen, verstehst du …«
    »Jaah!«
    »Nun«, fuhr ich fort, »es hatte das Landleben gründlich satt. Traf niemals einen Jungen, hatte keine Ahnung, was in der Welt so los war. Eines Tages packte sie ihre Sachen und fuhr in die nächste große Stadt. Ihrer Mutter brach das Herz.«
    Die Kellnerin brachte unser Essen, und ich wartete, bis sie wieder weggegangen war.
    »Bald fand das Mädchen einen Job in dieser Stadt, aber sie blieb immer noch ziemlich naiv und unerfahren, denn sie hatte zu viel Schiss, irgendwo hinzugehen und Leute zu treffen. Ihre Mutter schrieb ihr jeden Tag, aber sie beantwortete die Briefe

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