Die gelehrige Schuelerin
Einsamkeit aufgehalst hätte. Sie war so verletzlich und hatte mir ihr ganzes Vertrauen geschenkt. Was für mich wahrscheinlich nur eine einmalige Begegnung sein würde, konnte für Annie ein wesentliches, unwiederbringliches Ereignis sein. Die Jungfräulichkeit zu verlieren, sollte doch für jeden Menschen ein ganz besonderes Erlebnis voll Liebe, Zärtlichkeit, Vertrauen und gegenseitigem Entdecken sein. Wird sie sich nun immer an ihre erste Nacht als an eine fragwürdige Begegnung en passant in einem dreckigen Motelzimmer erinnern?
Wäre sie älter gewesen, hätte ich mich wohl in Ordnung gefühlt. Ich hätte angenommen, dass sie mit den Ereignissen fertig werden würde. Ich hätte mir sogar Mühe gegeben, das Syndrom des zweiten Blicks zu überwinden. Aber hier, handelte es sich um meine sechzehnjährige Schülerin Annie Alston. Ich konnte doch nicht einfach so weitermachen und sie ausnutzen.
Aber ich brachte es auch nicht fertig, sie mit dem Gefühl, benutzt worden zu sein, allein sitzen zu lassen.
Eine Sache wie diese konnte mein ganzes Leben aus dem Gleichgewicht bringen. Ich war sicher nicht der erfolgreichste Karrieremacher der Welt, aber meine Eltern mochten mich verhältnismäßig gern. Die Leute fanden mich ganz in Ordnung, und ich war oberflächlich gesehen zufrieden. Wenn Annie und ich erwischt würden, würde man mich auf der Stelle feuern; ich wäre schon beim ersten richtigen Versuch zu arbeiten gescheitert. Und wenn sich dann noch das Gesetz einschaltete, wäre ich, egal, ob ich nun überführt werden würde oder nicht, ein Leben lang vorbestraft.
Und was ich Annie damit alles zumutete.
War sie für solch eine Affäre wirklich schon alt genug? Wie würden ihre Eltern darauf reagieren? Würde auch sie vorbestraft werden? Wenn das die anderen Schüler herausfinden würden, wäre das Leben für sie sicher nicht mehr so einfach.
Früher oder später musste es einfach in der Sackgasse enden. Sie war sechzehn und ich fünfundzwanzig; schon allein mein Erfahrungshintergrund bildete einen unübersehbaren Unterschied. Ich wollte nicht nur eine Sexpartnerin. Ich wollte jemanden, mit dem ich mich verbunden fühlte, mit dem ich Liebe machen konnte.
Annie hatte jedoch etwas Besonderes. Mein Verlangen nach ihr war echt. Ihre Jugendlichkeit und Aufrichtigkeit zogen mich zu ihr hin. Sie fühlte sich wichtig, und in ihrer Nähe hatte auch ich mehr Selbstvertrauen.
Alles war so verdorben: Ich hatte Annie völlig für mich einnehmen wollen, mir sicher sein und meine Macht spüren wollen. Aber nun, wo ich sie hatte, war die ganze Sache noch beschissener, weil ich mir nicht mehr klar war, ob ich überhaupt noch Interesse an ihr hätte.
Ich kam müde und ausgehungert in meiner Wohnung an. Im Bad warf ich mir eiskaltes Wasser ins Gesicht (ich hätte es wohl eher auf meinen Penis spritzen sollen). Niemals werde ich glücklich sein. Immer muss ich analysieren, nachdenken, projizieren und aus jeder Kleinigkeit einen zerebralen Alptraum konstruieren.
Ich sah in den Spiegel und suchte in meinem Gesicht nach Antworten. Mein offener Mund sah traurig aus. Überrascht über den unschuldigen Ausdruck meiner Gesichtszüge wandte ich mich ab. Ich hatte wohl hochgestellte Spitzohren, kalte, glühende Augen, einen Ziegenbart und Hörner auf meinem Kopf erwartet.
Antworten fand ich nicht.
In der Küche stopfte ich mich mit Yoghurt und Käse voll, viel zu müde, um mir etwas zu essen zu machen. Dann stellte ich den Fernseher ein und bereitete mich innerlich auf einen weiteren deprimierenden Samstagabend vor. Wieder allein. Können Sie sich vorstellen, dass ich einfach zum Telefon gehen, Annie anrufen und vielleicht ihrer Mutter am Telefon sagen würde: »Oh, hallo, Mrs. Alston, hier ist Mr. Lester. Ich rufe nur an, um zu fragen, ob Ihre Tochter heute Abend Zeit für mich hat?« Können Sie sich überhaupt vorstellen, dass ich Annie zum Essen ausführen, ihr den Stuhl zurechtrücken und mich mit ihr in eine lauschige Ecke an einen von Kerzen erleuchteten Tisch setzen würde?
Nein, ich musste mir klar machen, dass ich am Montag wieder Jacke und Schlips anziehen und meine Arbeit aufnehmen musste. Wenn ich dann vor der Klasse stand und Vorlesungen hielt, würde sie still im Hintergrund sitzen und sich auf ihrem kleinen Pult Aufzeichnungen machen. Und vielleicht würde sie in ihrem Schmerz einen kindlichen Anfall kriegen und der ganzen Klasse erzählen, wen ich am Wochenende gefickt hätte und wie gut ich im Bett wäre. Oh,
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