Die gelehrige Schuelerin
Scheiße. Diese Schule.
Obwohl ich mir nichts sehnlicher wünschte, als ruhig zu bleiben, war ich am Montagmorgen nervös und schwitzte fürchterlich, als ich auf die erste Klasse wartete.
Irgendwo hatte ich Angst, dass ich mir etwas davon anmerken lassen würde, was am Wochenende im Motel passiert war. Jeden Augenblick erwartete ich, dass Annie in die Klasse gestürmt kam und ihr eine Vorlesung darüber hielte, wer ich wirklich wäre – A, der bärenstarke Vergewaltiger aus dem
Sunnyside Motel
und B, der Grobian, der am Wochenende ihr Diaphragma eingerissen hätte.
Langsam schlenderten die Schüler in die Klasse. Einige murmelten ein verhaltenes »Guten Morgen«. Ich konnte meine Anspannung nicht verbergen und drehte mich deshalb zur Tafel, um Hausaufgaben aufzuschreiben. Ich musste mich stark konzentrieren, um jeden Buchstaben deutlich zu schreiben. Die Kreide brach auseinander, und ich griff schnell nach einem neuen Stück. Plötzlich hatte ich die Vorstellung, dass ich für die Schüler durchsichtig geworden wäre und jeder auf Anhieb die Mr. Lester-Rolle durchschaute. Sie mussten entdecken, dass ich nur der einsame, völlig entgleiste Arnie war. Würden sie ihre Achtung für mich verlieren? Halbwegs erwartete ich, dass sie mir von nun an nicht mehr zuhören würden. Papierflugzeuge, Bleistifte und Bücher würden durch die Klasse fliegen, und meine schroffen Befehle würden überhaupt keine Bedeutung mehr haben. Würde ich dann anfangen, um Ruhe zu betteln? Die Kreide quietschte an der Tafel. Einige Schüler stöhnten. Die letzte Schulglocke vor der Stunde ertönte, und ich hatte die Aufgabe zu Ende geschrieben. Nun musste ich mich der Klasse zuwenden. Ich konnte nicht umhin, meine Augen zuerst auf Annies Stuhl im Hintergrund der Klasse zu richten. Mein Blick zentrierte sich auf diesen Punkt wie das Teleobjektiv einer Kamera.
Der Stuhl war leer.
»In Ordnung. Ich bitte um Ruhe. Ich nehme an, dass ihr alle zwei wunderschöne freie Tage gehabt habt. Daniel, setz dich bitte auf deinen Stuhl. Hallo, Mädchen, kann der Wochenendtratsch nicht bis zum Mittagessen warten? Legt die Bücher weg und holt eure Hefte raus. Jetzt ist Zeit für Edgar Allen Poe und
Das verräterische Herz.«
Die Stunde lief sehr gut. Ich hatte viel Energie und fand mühelos in meine Lehrerrolle zurück. Wieso hatte ich mir eingebildet, dass alles verändert sein würde? Erst am Ende der Stunde, als die Klasse ging, kam Clara auf mich zu. Wie ein Spion, der wertvolle Informationen in der Öffentlichkeit zu übergeben hat, ließ sie diskret einen versiegelten Briefumschlag in meinen Schoß fallen. Ich fühlte mich ertappt.
Schnell schob ich den Brief in die Schublade und lächelte, als ob dies die natürlichste Sache von der Welt wäre, obwohl der Raum schon völlig leer war. Während der nächsten Stunden spielte ich weiterhin überzeugend den Lehrer und vergaß den Brief fast vollständig. Nur wenn sich im Unterrichtsgeschehen eine Pause einstellte, sah ich vorsichtig auf meinen Schreibtisch in der Erwartung, plötzlich teuflischen Rauch daraus aufsteigen zu sehen.
In einem leeren Klassenzimmer biss ich in mein Roastbeefsandwich. Ich wollte die Lehrercafeteria heute vermeiden.
Lieber Arnie,
vielleicht hältst du mich jetzt für kindisch, aber ich konnte heute einfach nicht in die Schule kommen. Ich hatte Angst, dass du wieder nur Mr. Lester sein würdest und nicht einmal Notiz von mir genommen hättest, wenn wir beide allein gewesen wären. Außerdem glaube ich, dass ich heute meine Periode kriege (uff!).
Das letzte Wochenende war für mich ein Rausch. Mit dir zusammen habe ich mich sehr wohl gefühlt, ich glaube, du auch. Ich kann auch verstehen, dass das alles für dich sehr schwer ist.
Ich glaube, ich liebe dich (Bernice?), aber ich kann nicht anders,, und ich werde es auch nicht verbergen. Ich weiß, dass du mich nicht liebst (das ist schon in Ordnung), aber etwas Gefühl musst du für mich haben, sonst wäre Samstag ganz anders gewesen.
Ich bin in meinem Leben schon oft verletzt worden, und ich habe das Gefühl, dass auch du häufig gekränkt worden bist, auch wenn du nicht darüber sprichst. Ich glaube, wir können uns gegenseitig helfen, egal, was wir füreinander sind. Morgen werde ich wieder zur Schule kommen. Ich will nicht vor den Dingen wegrennen. Ich habe nur diesen Tag für mich allein gebraucht. Mach dir also keine Sorgen um mich, ich kann schwierige Dinge in den Griff kriegen, das habe ich schon bewiesen.
Auf
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