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Die Gelehrten der Scheibenwelt

Die Gelehrten der Scheibenwelt

Titel: Die Gelehrten der Scheibenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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mehr Schaden anrichten müssen, als die Fossilbelege zeigen.
    Und das ist nicht das einzige Problem. Ein Schlüsselindiz für den großen Frost ist eine Schicht Sedimentgestein, die sich bildete, unmittelbar nachdem die Gletscher schmolzen und große Mengen Geröll zurückließen. Diese Schicht enthält weniger Kohlenstoff-13 (im Vergleich zum gewöhnlichen Kohlenstoff-12) als normal. Photosynthese im Meer wandelt C-12 leichter als C-13 in Kohlendioxid um, also bleibt im Meerwasser und in den Sedimentschichten, die später Gestein bilden, ein Überschuß an C-13 zurück. Ein niedriges Verhältnis von C-13 zu C-12 verweist also auf geringe biologische Aktivität.
    Die Aufgabe des Wissenschaftlers ist es, Methoden für den Versuch zu finden, Dinge zu widerlegen , die Sinn zu haben scheinen. 2001 maßen Martin Kennedy und Nicholas Christie-Blick dieses Verhältnis für Sedimente, die sich während des vermeintlichen großen Frostes bildeten. Wenn die Welt kilometertief unter Eis begraben war, müßte das Verhältnis niedrig sein. In Wahrheit war es aber hoch – in Afrika, Australien und Nordamerika. Das deutet darauf hin, daß das globale Ökosystem damals gut in Gang war.
    Computermodelle des Klimasystems zeigen auch, daß die Ozeane einem vollständigen Zufrieren erheblichen Widerstand entgegensetzen.
    Wie so viele attraktive wissenschaftliche Theorien, ist die vom Schneeball Erde keineswegs klar, und es werden weitere Forschungen notwendig sein, um herauszufinden, wer recht hat. Vielleicht war die Erde gar kein wirklich fester Schneeball. Oder vielleicht gab es, wie Schrag entgegnete, hinreichend große Flecke offenen Wassers, um die Kohlenstoffchemie des Ozeans zu verändern, während er atmosphärisches Kohnendioxid absorbierte. Vielleicht war die Erdachse viel stärker geneigt, als die Astronomen zugeben wollen, und die Pole verloren ihr Eis, während die Äquatorgegenden zufroren. Vielleicht verlief auch die Kontinentalverschiebung damals schneller, als wir glauben, und wir haben die Ausdehnung des Eises falsch kartographiert. Wie es auch im einzelnen gewesen sein mag, es war eine ausgesprochen eisige Welt.
    Obwohl der große Frost beinahe alles Leben an der Oberfläche ausgelöscht hätte, kann er indirekt einen Großteil der heutigen Vielfalt des Lebens hervorgerufen haben. Der Übergang von Einzellern zu mehrzelligen Lebewesen in großem Maßstab trug sich auch vor 800 Millionen Jahren zu. Es ist plausibel, daß der große Frost eine Vielzahl von einzelligen Lebensformen auslöschte und neue Möglichkeiten für das mehrzellige Leben eröffnete, die in der Kambrischen Explosion vor 540 Millionen Jahren kulminierten. Auf Massenvernichtungen folgt in der Regel eine schlagartige Zunahme der Vielfalt, bei der das Leben vom ›Profistatus‹ im Evolutionsspiel in den eines ›Amateurs‹ zurückfällt. Es dauert dann eine Zeit, bis die weniger tüchtigen Amateure ausgemerzt sind – und solange können alle möglichen seltsamen Lebensstrategien zeitweilig gedeihen. Die Serie von eisigen Zeitabschnitten, die auf den großen Frost folgte, kann diesen Vorgang nur gefördert haben.
    Es kann jedoch auch umgekehrt gewesen sein. Die Erfindung des Afters durch die Triploblasten kann die Ökologie der Meere verändert haben. Fäkalien werden auf den Meeresgrund gesunken sein, wo sich Bakterien darauf spezialisieren konnten, sie aufzuspalten. Dann konnten andere Organismen Strudler* [ * Strudler oder Filtrierer: Wassertiere, die ihre Nahrung aus einem durch ihren Körper gelenkten Wasserstrom herausfiltern. – Anm. d. Übers. ] werden, die von diesen Bakterien lebten und möglicherweise ihre Larven zwecks Verbreitung hinauf ins Plankton aussandten, wie es Strudler heute tun. Mehrere neue Lebensweisen beruhten auf diesem urtümlichen Kompostierungssystem. Und es kann sein, daß die erfolgreiche Rückführung von Phosphor und Stickstoff in den Stoffkreislauf des Meeres zu einer explosionsartigen Vermehrung von Algen führte, die das Kohlendioxid in der Atmosphäre verringerte, den Treibhauseffekt einschränkte und den großen Frost auslöste.
    Zum Glück für uns dauerte der große Frost nicht ganz so lange oder war nicht kalt genug, um alles abzutöten. (Bakterien in Vulkanschloten am Meeresgrund und in der Erdkruste hätten sowieso überlebt, doch die Evolution wäre weit, weit zurückgeworfen worden.) Als die Erde also wieder wärmer wurde, explodierte das Leben in eine frische, konkurrenzfreie Welt. Paradoxerweise ist

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