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Die Gelehrten der Scheibenwelt

Die Gelehrten der Scheibenwelt

Titel: Die Gelehrten der Scheibenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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kleinen Beinen.

DREISSIG
    Universalien und Regionalismen
    Der Zufall hat vielleicht eine größere Rolle dabei gespielt, unser Dasein auf der Erde zu sichern, als wir glauben. Nicht allein daß wir alles andere als die Krone der Evolution sind – es ist denkbar, daß wir um ein Haar überhaupt nicht aufgetaucht wären. Andererseits, wenn das Leben von dem speziellen Evolutionsweg abgekommen wäre, der zu uns führte, hätte es sehr wohl statt dessen auf etwas Ähnliches stoßen können. Intelligente Krabben zum Beispiel. Oder sehr schlaue, netzewebende Quallen.
    Wir haben keine Ahnung, wie viele vielversprechende Arten von einer plötzlichen Dürre ausgelöscht wurden, von Zusammenbruch einer Nahrungsgrundlage, vom Einschlag eines großen Meteoriten oder vom Zusammenstoß mit einem Kometen. Wir haben nichts als die Spuren jener Arten, die mehr oder weniger zufällig Fossilien hinterlassen haben. Wenn wir die Fossilien betrachten, sehen wir allmählich ein undeutliches Muster, eine Tendenz zu zunehmender Komplexität. Und viele von den wichtigsten evolutionären Neuerungen scheinen mit schweren Katastrophen zusammenzuhängen …
    Wenn wir uns heute Organismen ansehen, wirken einige davon sehr einfach und andere komplexer. Eine Küchenschabe wirkt viel einfacher als ein Elefant. Also neigen wir dazu, die Schabe für ›primitiv‹ und den Elefanten für ›weiterentwickelt‹ zu halten, oder wir sprechen vielleicht von ›niederen‹ und ›höheren‹ Organismen. Wir erinnern uns auch, daß sich das Leben entwickelt hat und daß die komplexen Organismen von heute einfachere Vorfahren gehabt haben müssen, und wenn wir nicht sehr gut achtgeben, denken wir, die ›primitiven‹ Organismen von heute seien typisch für die Vorfahren der komplexen Organismen von heute. Wir hören, daß sich die Menschen aus etwas entwickelt haben, das eher wie ein Affe aussah, und schließen daraus, Schimpansen seien im Sinne der Evolution primitiver als wir.
    Dabei verwechseln wir zwei Dinge. Das eine ist eine Art Sortierung der gegenwärtigen Organismen nach ihrer Komplexität. Das andere ist eine Sortierung der Organismen von heute, ihrer Vorfahren von gestern, deren Vorfahren von vorgestern und so weiter nach der Zeit. Obwohl die Schabe vielleicht in dem Sinne primitiv ist, daß sie einfacher als ein Elefant ist, ist sie es nicht in dem Sinne, daß sie ein altertümlicher Vorfahren-Organismus wäre. Das kann sie nicht sein: Es ist eine heutige Küchenschabe, eine dynamische, vorandrängende Küchenschabe, bereit, sich den Herausforderungen des neuen Jahrtausends zu stellen.
    Obwohl altertümliche fossile Schaben dasselbe Aussehen wie moderne hatten, agierten sie vor einem anderen Hintergrund. Was man brauchte, um in der Kreidezeit eine lebenstüchtige Schabe zu sein, unterschied sich wahrscheinlich merklich von der DNS einer modernen Küchenschabe. Die Gene müssen sehr schnell laufen, nur damit der Körper an Ort und Stelle bleibt.
    Das allgemeine Bild von der Evolution, zu dem die Theoretiker schließlich gelangt sind, erinnert an einen verzweigten Baum, wobei die Zeit wie der Saft vom Stamm am Boden vier Milliarden Jahre in der Vergangenheit bis zu den Spitzen der obersten Zweige, der Gegenwart, ansteigt. Jeder Ast oder Zweig steht für eine Art, und alle sind aufwärts gerichtet. Dieses Bild vom ›Baum des Lebens‹ gibt einen entscheidenden Zug der Evolution richtig wieder – wenn sich ein Ast erst einmal geteilt hat, wächst er nicht wieder zusammen. Arten teilen sich, doch sie verschmelzen nicht.* [ * Dafür gibt es einen albernen und einen vernünftigen Grund. Der alberne Grund besagt, daß Arten für gewöhnlich dann als unterschiedlich definiert werden, wenn sie sich nicht kreuzen lassen. Wenn sich zwei verschiedene Arten nicht kreuzen lassen, können sie kaum wieder verschmelzen. Der vernünftige Grund besagt, daß die Evolution aufgrund zufälliger Mutationen – Änderungen im DNS-Code – mit anschließender Auslese erfolgt. Wenn die Veränderung erst einmal eingetreten ist, ist es unwahrscheinlich, daß sie durch spätere zufällige Mutationen wieder aufgehoben wird. Es ist, wie wenn man zufällig über Landstraßen fährt, einen Ort erreicht und dann wieder zufällig herumfährt. Dabei kann man nicht damit rechnen, den ursprünglichen Weg in umgekehrter Richtung zu wiederholen und zum Ausgangspunkt zurückzugelangen. ]
    Das Bild vom Baum ist aber in mehr als einer Hinsicht irreführend. Es gibt beispielsweise

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