Die Gelehrten der Scheibenwelt
besteht, es zu beobachten und damit seine Existenz zu sichern – eine Idee, die die Zauberer der Unsichtbaren Universität als einfachen gesunden Menschenverstand betrachten.
Schrödinger hielt das jedoch für albern, und um seinen Standpunkt zu belegen, führte er ein Gedankenexperiment ein, das jetzt ›Schrödingers Katze‹ genannt wird. Stellen wir uns einen Kasten vor, dessen Deckel so fest verschlossen werden kann, daß nichts , nicht einmal die leiseste Andeutung von einem Stückchen Quantenwelle, herausdringen kann. Der Kasten enthält ein radioaktives Atom, das zu einem zufälligen Zeitpunkt zerfallen und ein Teilchen aussenden wird, und einen Teilchendetektor, der Giftgas ausströmen läßt, wenn er den Zerfall des Atoms feststellt. Wir setzen die Katze in den Kasten und schließen den Deckel. Wir warten eine Weile.
Ist die Katze lebendig oder tot?
Wenn das Atom zerfallen ist, dann ist die Katze tot. Wenn nicht, lebt sie. Der Kasten ist aber verschlossen, und man kann nicht beobachten, was darin vorgeht. Da unbeobachtete Quantensysteme Wellen sind, sagen uns die Quantenregeln, daß sich das Atom in einem ›gemischten‹ Zustand befinden muß – teils zerfallen und teils nicht. Daher ist die Katze, die aus Atomen besteht und daher als gigantisches Quantensystem betrachtet werden kann, auch in einem gemischten Zustand: teils lebendig und teils tot. 1935 wies Schrödinger darauf hin, daß Katzen nicht so sind. Katzen sind makroskopische Systeme mit klassischer Ja-Nein-Physik. Er wollte darauf hinaus, daß die Kopenhagener Interpretation den Zusammenhang von mikroskopischer Quantenphysik und makroskopischer klassischer Physik nicht erklärte, ja nicht einmal benannte. Die Kopenhagener Erklärung ersetzt einen komplexen physikalischen Prozeß (den wir nicht verstehen) durch ein Stück Magie: Die Welle bricht zusammen, sobald man sie beobachtet.
Wenn diese Frage erörtert wird, schaffen es die Physiker meistens, Schrödingers Argument auf den Kopf zu stellen: »Nein, Quantenwellen sind wirklich so!« Und sie haben eine Menge Experimente durchgeführt, um zu beweisen, daß sie recht haben. Nur … bei diesen Experimenten gibt es keinen Kasten, kein Giftgas, kein ›lebendig‹, kein ›tot‹, keine Katze. Was es gibt, ist eine Entsprechung im Quantenmaßstab – ein Elektron anstelle der Katze, positiver Spin für ›lebendig‹ und negativer für ›tot‹ und ein Kasten mit chinesischen Mauern als Wänden, durch die man alles beobachten kann, während man Sorge trägt, nichts zu bemerken.
Diese Diskussionen und Experimente sind wie Lügen-für-Kinder: Sie dienen dem Zweck, die nächste Generation von Physikern zu überzeugen, daß sich Systeme auf Quantenniveau tatsächlich so bizarr verhalten, wie sie es tun. Schön … aber mit Katzen hat das nichts zu tun. Die Zauberer der Unsichtbaren Universität, die nichts über Elektronen wissen, aber innig vertraut mit Katzen sind, würden sich keinen Augenblick lang täuschen lassen. Ebensowenig die Hexe Gytha Ogg, deren Kater Greebo in Lords und Ladies in einen Kasten gesperrt wird. Greebo ist ein Kater, der sich mit einem reißenden Wolf einließe und ihn fräße.* [ * Wie Nanny Ogg immer sagt: »Eigentlich ist er ein lieber Kerl.« ] In Total verhext frißt er zufällig einen Vampir, und die Hexen können nicht verstehen, was die Dörfler in der Gegend daran so begeistert.
Greebo hat seine eigene Art, mit Quantenparadoxen umzugehen: »Greebo hatte zwei lange und ihn sehr verärgernde Minuten hinter sich. Wenn sich eine Katze – oder, wie in diesem Fall, ein Kater – in einem geschlossenen Behälter befindet, so kann sie entweder tot sein oder noch leben. Man erfährt es erst, wenn man nachsieht – das Öffnen des Behälters entscheidet über den Zustand der Katze. Unter den gegenwärtigen Umständen gab es jedoch drei mögliche Zustandsformen: lebendig, tot oder verdammt wütend.« Schrödinger hätte applaudiert. Er redete nicht von Quantenzuständen: Er wollte wissen, wie sie im größeren Maßstab zur gewöhnlichen, klassischen Physik führen, und er sah, daß die Kopenhagener Interpretation dazu überhaupt nichts zu sagen hatte. Wie also treten klassische Ja-Nein-Antworten aus dem Quanten-Ameisenland hervor? Was einer Antwort am nächsten kommt, ist die sogenannte Dekohärenz, die von einer Reihe von Physikern untersucht worden ist, darunter Anthony Leggett, Romand Omnés, Serge Haroche und Luis Davidovich. Wenn man eine große Anzahl
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