Die Gelehrten der Scheibenwelt
jene ersten Zellen waren nicht raffiniert genug aufgebaut, um mit unterschiedlichen Salzkonzentrationen in ihrem Innern und außerhalb fertig zu werden; so können sie sich durchaus auf dieselbe Salzkonzentration festgelegt haben, weil das das einzige war, was sie fertigbrachten – und nachdem sie das einmal getan hatten, war es kaum noch zu ändern.
Können wir die Frage entscheiden, indem wir die Ozeane eingehender betrachten? Ozeane können Salz sowohl verlieren als auch erwerben. Meere können austrocknen; das Tote Meer in Israel ist ein berühmtes Beispiel. Es gibt an vielen Orten Salzbergwerke, Überreste alter ausgetrockneter Meere. Und so wie Lebewesen – Bakterien – Kohlendioxid aus dem Meer zogen und es in Sauerstoff und Zucker verwandelten, können sie auch andere gelöste Mineralien herausziehen. Kalzium, Kohlenstoff und Sauerstoff beispielsweise werden in Schalen eingebaut, die auf den Meeresgrund sinken, wenn ihr Besitzer stirbt. Der entscheidende Faktor ist – die Zeit. Man glaubt, daß die Ozeane ihre gegenwärtige Zusammensetzung und insbesondere ihren gegenwärtigen Salzgehalt vor etwa zwei bis anderthalb Milliarden Jahren erreicht haben. Der Beweis ist die chemische Zusammensetzung von Sedimentgesteinen – Gesteinen, die aus den Schalen und anderen harten Teilen von Organismen bestehen –, die sich seither nicht verändert zu haben scheint. (1998 legte Paul Knauth allerdings Beweise vor, daß der frühe Ozean salziger gewesen sei, als er jetzt ist, und etwa anderthalb bis zweimal soviel Salz enthielt. Seine Berechnungen weisen darauf hin, daß Salz frühestens vor etwa zweieinhalb Milliarden Jahren auf den Kontinenten abgelagert worden sein könnte.) Einfache Berechnungen, die darauf beruhen, wieviel Material sich in Flüssen löste und wie schnell Flüsse fließen, ergeben, daß der gesamte Salzgehalt der Ozeane von gelösten Kontinentalgesteinen binnen zwölf Millionen Jahren geliefert werden kann – geologisch gesehen ein Lidschlag. Wenn sich das Salz einfach ständig angesammelt hätte, würden die Ozeane heute bei weitem mehr Salz als Wasser enthalten. Die Ozeane sind also nicht einfach Senken für gelöste Minerale, Einbahnstraßen, wo Mineralien hineinfließen und bleiben. Sie sind mineralverarbeitende Maschinen. Der geologische Beweis der Ähnlichkeit alter und moderner Sedimentgesteine weist darauf hin, daß Zu- und Abfluß einander ziemlich genau die Waage halten müssen.
Haben wir also uralte Meere in unserem Blut? Ja, in gewisser Hinsicht. Die Proportionen von Magnesium, Kalzium, Kalium und Natrium sind exakt dieselben wie in den alten Meeren, aus denen sich unser Blut vielleicht entwickelt hat – doch Zellen scheinen eine Salzkonzentration von 1% einer von 3% vorzuziehen.
NEUNZEHN
Gezeiten …
»Er hat recht in Hinsicht auf den Regen«, sagte der Oberste Hirte, der durchs Omniskop blickte. »Es gibt wieder Wolken. Und ziemlich viele Vulkane sind aktiv.«
»Ich verändere seine Position noch ein wenig mehr … Oh. Jetzt meint er, es sei dunkel und kalt. Außerdem klagt er über Kopfschmerzen …«
»Keine sehr anschauliche Beschreibung, oder?« fragte der Dekan.
»Er spricht von sehr starken Kopfschmerzen.«
HEX schrieb etwas.
»Oh«, machte Ponder. »Er befindet sich unter Wasser. Tut mir leid. Die Positionierung ist nicht ganz einfach. Außerdem wissen wir noch immer nicht, welche Größe er haben sollte. Und jetzt?«
Es summte im Hörrohr. »Er ist noch immer unter Wasser, kann jetzt aber die Oberfläche sehen. Ich glaube, dabei sollten wir es zunächst belassen. Geh los.«
Die Zauberer drehten synchron den Kopf und beobachteten den Thaumanzug.
Er schwebte einige Zentimeter über dem Boden, und die Gestalt darin begann mit zögernden Gehbewegungen.
Es war kein sehr schöner Tag.
Es regnete noch immer, wenn auch nicht mehr so stark wie vorher. Die Großwetterlage stellte häufige Schauer im Verlauf der frühen Phase des Jahrtausends und vereinzelte Schauer während der letzten Jahrzehnte in Aussicht. Zehntausend Flüsse suchten und fanden einen Weg zum Meer. Das Licht war grau und verlieh dem Küstenstreifen einen eintönigen, monochromen und ziemlich feuchten Eindruck.
Ganze Religionen gehen auf den Anblick einer Gestalt zurück, die auf rätselhafte Weise aus dem Meer erscheint. Es läßt sich kaum feststellen, welcher seltsame Kult von dem Ding inspiriert worden wäre, das nun an Land stapfte. Auf seiner Tabu-Liste hätten starke Getränke und
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