Die Geliebte des Gelatiere
Papierwarenladen. Sie wollte wissen, was ich tat, und ich sagte ihr, dass ich an die Ca’ Foscari ginge und dort Italienisch und Englisch studiere.
»Italienisch und Englisch, soso«, erwiderte sie. »Ist das denn interessant?«
Ich wurde rot. Sie hatte wirklich eine sehr direkte Art.
»Ist ja egal«, sagte sie, »Schreibstifte verkaufen ist auch nicht gerade das Tollste. Den ganzen Tag in dem engen Laden, da kann einem schon die Decke auf den Kopf fallen.«
»Manchmal ist es an der Ca’ Foscari nicht uninteressant«, sagte ich. »Aber oft arbeite ich auch in einer Gelateria.«
»In einer Gelateria?«
Das schien ihr mehr Eindruck zu machen.
»Kannst du mir nicht ein wenig davon erzählen? Ich habe keine Ahnung, wie das so läuft.«
»Viel zu erzählen gibt es da nicht«, wiegelte ich ab und nahm einen Schluck Prosecco.
»Ich stehe hinter der Theke, sehe zu, dass die Kästen mit den verschiedenen Aromen randvoll sind, und drapiere das Eis zu gewundenen Gebirgen. Kommt Kundschaft, nehme ich den Portionierer zur Hand, fülle das Gelato in ein Waffelhorn oder einen Becher, kassiere das Geld und wünsche einen schönen Tag. Das ist alles.«
Sie schaute mich an, als wollte sie meinen Job.
»Macht ihr das Eis selber?«
»Ja. Oft gehe ich in der Frühe zum Rialto und hole dort die Zutaten frisch vom Markt – Erdbeeren, Himbeeren oder Birnen. In letzter Zeit lässt mich Pippo auch immer wieder an der Eismaschine arbeiten. Er möchte, dass das Geschäft weiterläuft, auch wenn er mal ausfällt.«
Das eine oder andere Mal hatte ich schon mit Verkäuferinnen geflirtet, meist mit Schuhverkäuferinnen, die mich auf unerklärliche Weise anzogen, aber nach lockerem Beginn war immer dieses Gefühl der Fremdheit in mir aufgestiegen, das auch jetzt wieder aufkeimte.
Um mich zu fangen, ging ich ins Bad, wusch mir das Gesicht mit kaltem Wasser und die Hände mit einer Seife, die nach Kokosnuss duftete. Ich betrachtete die Parade der Parfums auf der Ablage über dem Waschbecken, öffnete den einen oder anderen Flacon, um daran zu riechen, und schaute in den Spiegel. Als ich mein Gesicht sah, war ich überrascht, dass ich aussah, wie ich aussah. Dann legte sich die Überraschung, meine Züge kamen mir wieder vertrauter vor, und ich hatte den Eindruck, dass ich mir zumindest ähnelte.
Beruhigt drehte ich mich um. Draußen auf der Riva suchte eine Handvoll kamerabewehrter Japaner krampfhaft eine kokette Colombina zu fotografieren. Die Japaner hantierten so leidenschaftlich mit ihren Leicas, dass es ihnen ein größeres Vergnügen zu bereiten schien, die Colombina mit ihren Apparaten festzuhalten, als sie zu sehen. Im Eilschritt entgegenkommende Touristen, dem Aussehen nach Skandinavier, glotzten verächtlich auf die Japaner. Sie hatten keine Kameras dabei oder zeigten sie nicht. Während die beiden Touristengruppen genervt aneinander vorbeidrängten und der eine oder andere Skandinavier doch neidisch auf die Leicas schielte, verschwand die Colombina in einem Sottoportego.
Als ich wieder in die Mansarde trat, saß Elisa nicht mehr am wackligen Tischchen. Ich dachte, dass sie rasch in die Wohnung der Eltern gegangen war, um ein paar Tramezzini zu holen. Aber als ich mich zum Fenster drehte, sah ich, dass sie bis auf die dunkelblauen Wollsocken splitternackt auf dem Bett lag. Überrumpelt stand ich da. Das war das Letzte, womit ich gerechnet hatte. Gewiss hatte auch ich einen Moment lang an ein erotisches Abenteuer gedacht, aber nicht wirklich, nicht von ganzem Herzen, und falls doch, nicht auf diese Weise. Im Bruchteil einer Sekunde schossen mir alle möglichen Gedanken durch den Kopf. Alexis Zorbas’ Ausspruch kam mir in den Sinn, welches die schlimmste Sünde sei, die ein Mann begehen könne: »If a woman calls you to her bed, and you don’t go.«
Diese Frau wollte mit mir ins Bett – eindeutiger, als je eine Frau mit mir ins Bett gewollt hatte. Und ich mochte nicht sündigen, aber ich konnte nicht zu dem Bett hin, wie angewurzelt blieb ich auf dem Steinboden stehen. Ich sah, wie Elisas Schamhaar in dichten Büscheln in die Luft ragte, sah ihre großen Brüste, die fleischigen Schenkel. Nicht, dass sie unattraktiv gewesen wäre. Vielleicht hätte ich mir ein Herz fassen und über meinen Schatten springen können, wenn die blauen Wollsocken nicht gewesen wären. Warum hatte sie nur diese Wollsocken anbehalten, während sich die Spitzen ihres Schamhaars in der Luft kräuselten?
Am liebsten wäre ich einfach abgehauen.
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