Die Geliebte des Gelatiere
Eine Eismesse, eine »Mostra Internazionale del Gelato«, schien mir das Letzte, was ich gerade brauchte. In meiner Gelateria war unheimlich viel los. Ich konnte nicht einfach weg.
Trotzdem reiste ich in die Provinz Belluno im Veneto. Mit Herzblut bereitete ich am Fuße des Monte Toc, wo vor Jahren ein Bergsturz das halbe Tal und halb Longarone verschüttet hatte, ein Honig-Safran-Eis mit in Rotwein gedünsteten Pfirsichschnitzen zu. Ich nannte das Ganze »Addolcente per arbitri di calcio«, Gesüßtes für Fußballschiedsrichter, erwartete den Entscheid der finster dreinschauenden Juroren – und gewann.
Ohne Namen, ohne Beziehungen, ohne Geld kam ich zu diesem Preis. Ich hielt die »Coppa d’Oro« in den Händen, den »Oscar mondiale del gelato artigianale«. Die Jury hielt mich für den Del Piero des Eises. Sie lobte mein »Addolcente per arbitri di calcio«, das sich raffiniert der kulinarischen Tradition bediene, in seiner außergewöhnlichen Komposition aber verblüffend eigenständig erscheine und zu erwartende Geschmackstrends präzise und unprätentiös vorwegnehme. Nicht zuletzt rühmte die Jury meine hohe Risikobereitschaft, auf ein altes provenzalisches Rezept zurückzugreifen. Einen Tag später stand mein Name in der New York Times. Ich dachte an Noemi. Vielleicht würde sie den Artikel lesen. Ich war völlig aus dem Häuschen und ballte im heruntergekommenen Hotelzimmer in Longarone die halbe Nacht die Faust gegen die Decke, sprang immer wieder aus dem Bett und starrte wie ein Mondsüchtiger zum hölzernen Christus. Aber als ich wieder im Dorsoduro hinter der Theke stand, war es Paolina, die mich zu meiner Überraschung anhimmelte. Sie hatte mich im Fernsehen gesehen, wie ich von Station zu Station herumgereicht wurde, von der RAI zu den Privatsendern und von denen wieder zur RAI, und plötzlich war sie sich über ihre Gefühle klar geworden. Sie vermisste mich.
Im Grunde hatte ich sie schon abgeschrieben, zwei Monate lang hatte sie alles in der Schwebe gelassen, sich nicht definitiv getrennt von ihrem Freund, einem toskanischen Metallbauschlosser. Und nun das. Ich hatte Noemi gesucht und Paolina gefunden. Und ich hatte diesen Oscar gewonnen.
Zwei Tage später zogen wieder düstere Wolken auf. In der Gastro-Beilage von La Repubblica erschien ein bösartiger Verriss meines »Addolcente per arbitri di calcio« – das Honig-Safran-Eis sei altbacken und von vorgestern, der Safran sei von minderer Qualität, der Barolo nehme den Pfirsichen jede Raffinesse, und auch der Berghonig sei nicht über alle Zweifel erhaben. Zu grell sei die Farbe des Eises, zu plakativ sein Geschmack, zu künstlich sein Bouquet. Die Jury habe sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner kulinarischer Vernunft geeinigt, habe sich vom verräterischen Glanz und der Effekthascherei dieses Gelato täuschen lassen, was angesichts der kunstvollen Kompositionen anderer Kandidaten geradezu fatal sei. Verfasserin des Artikels war eine der Jurorinnen von Longarone. Ich traute meinen Augen nicht. Palmiro Fabbri von der Gelateria Segafreddo in Sansepolcro, der auf dem zweiten Platz gelandet war, hätte die »Coppa d’Oro« für sein Zimtparfait mit Portweinbirnen viel eher gebührt. Fabbri sei bei der Präsentation weit subtiler zu Werke gegangen, ich hingegen hätte das Eis lieblos auf geschmacklosen Tellern serviert. Ich kochte vor Wut. Die Jurorin hatte mir nach der Preisverleihung noch gratuliert, die Hand geschüttelt, auf die Schulter geklopft, war auf Einladung der Accademia della Gelateria Italiana zum festlichen Nachtessen zu meinen Ehren mitgekommen – und hatte mir gegenüber gesessen.
Kleinere Blätter übernahmen den Verriss – mehr oder minder wörtlich: Der Geschmack meines Gelato sei zu künstlich, »mein« Zimtparfait mit Portweinbirnen zu altbacken, ihm fehle die Raffinesse des Honig-Safran-Eises des Zweitplatzierten. Ich hätte mein Dessert für Fußballschiedsrichter schön präsentiert, Teller allein machten aber noch keinen Oscar.
Die nächsten Tage kamen ständig Leute in die Gelateria, die mich auf diese Artikel ansprachen – Bekannte wie Unbekannte. Ich begann schon zu bedauern, dass ich diese »Coppa d’Oro« gewonnen hatte, und fragte mich, ob es nicht besser gewesen wäre, keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und die Arbeit wie tausend andere Gelatieri bescheiden und ohne Aufsehen zu erledigen.
Paolina widersprach. Sie liebte mich, gerade weil ich etwas wagte. Sie meinte, ich müsse etwas lernen aus dem
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