Die Geliebte des Gelatiere
Kopf, im Bauch krampfte sich wieder etwas zusammen, aber der Mann hörte nicht auf, über die Wundmale dieses apulischen Jesus-Wiedergängers zu schwadronieren.
»Pass gut auf das Bild auf, es wird dir helfen«, hob er wieder an. »Du bist doch ein gläubiger Mensch, ich sehe es dir an.«
Noch bevor ich antworten konnte, klopfte es an die Tür – eine ältere Frau, eine jüngere und ein junger Mann betraten das Zimmer. Es waren Tonios Frau und seine Kinder. Durch ihr Kommen wurde ich von seinem Redeschwall erlöst. Dafür palaverten nun vier heillos durcheinander, jeder redete ohne Rücksicht auf den anderen ein, laut, heftig, gestenreich, und mit der Ruhe war es endgültig vorbei.
Ich zog mich aus dem Bett und floh auf die Toilette. Wenigstens dort hatte ich Ruhe. Aber ich konnte nicht ewig auf der Schüssel sitzen bleiben. Wieder zurück im Zimmer, hatte Tonio den Fernseher eingeschaltet, und die vier schauten nun einträchtig lachend eine Show mit Dutzenden von schönen Frauen. Mit dem Krach hätte man einen Tauben vertreiben können. Ich glitt unter die Decke, versuchte, mit dem Kissen die Ohren zu schützen, und schloss die Augen, doch die Show dröhnte so gellend, dass man sich selbst unter der Decke noch aufregte. Ich wollte schon auffahren und »Silenzio!« brüllen, als ein Pfleger eintrat, der Tonio anwies, leiser zu stellen. Verständnislos schaute dieser ihn an und drehte widerwillig zurück. Kaum war es einen Moment lang ruhig, ging das Schnattern wieder los.
Dann kam Paolina. Ich atmete auf. Doch kaum war sie da, stürzte sich Tonios Frau auf sie, um sie nach Padre Pio zu fragen und von der wundersamen Heilung des Matteo Colella zu erzählen, der an der seltenen Blutkrankheit Zytomegalie erkrankt sei, einer Virusinfektion, die zur Lähmung aller Organe im Körper führe, auch zu Hirnhautentzündung.
Paolina hob die Brauen und schaute mich an. Die Frau setzte an, weit auszuholen, als Paolina ihr ins Wort fiel: »Entschuldigen Sie, ich habe nur wenig Zeit, um mit Alvise zusammen zu sein. Ich möchte noch das eine oder andere mit ihm besprechen.«
Endlich hatten wir einige Momente für uns.
»Und, wie geht’s?«
»Na ja.«
»Schmerzen?«
Ich nickte.
»Hat es auch andere erwischt?«, fragte ich, während Paolina mit ihren Fingern meinen blubbernden Bauch streichelte.
»Edoardo liegt in Mestre mit ähnlichen Symptomen im Spital. Es geht ihm besser als dir, aber er ist ja auch ein Brocken. Und Claudia ist es seit dem Geburtstagsessen übel, aber nicht so schlimm.«
»Dann lag es doch an diesem verdammten Essen? An der
Eistorte?«
»Keine Ahnung. Den meisten geht’s gut. Nur die, die von den Brüsten der Venus gegessen haben, hat es erwischt.«
»Von den Brüsten?«
»Ja. Nur in den Brüsten war Mandarineneis.«
Ich schüttelte den Kopf. Das alles schien mir vollkommen absurd. Im Grunde war es egal, was die Ursache des Infekts war, aber wenn ich an meinen Beruf dachte, dann war es nicht egal. Ich hörte schon, wie mein Vater sich ereiferte, er habe es ja schon immer gesagt, dass das nichts Rechtes sei mit diesem Eis. Dabei war er nach der »Coppa d’Oro« zum ersten Mal an die Zattere gekommen und hatte sich ein Gianduiotto schmecken lassen.
»Und Michele?«
»Der ist putzmunter, der hat auch nicht von den Brüsten gegessen.«
»Dieses Scheißhotel werde ich verklagen«, fluchte ich.
Schließlich lief die Besuchszeit ab. Paolina drückte mich noch einmal fest an sich.
»Bring mir doch bitte noch mehr Unterwäsche und meinen Trainingsanzug mit«, bat ich sie und gab ihr den Schlüssel zu meiner Wohnung.
»Mach ich«, sagte sie und küsste mich, mir gute Besserung wünschend, auf die Stirn.
14
»Haltung, Alvise, du musst Haltung zeigen, sonst kommst du hier nie raus!«
Es war kurz vor zehn, und Tonio ärgerte sich über mein schmerzverzerrtes Gesicht. Ich erwiderte nichts. Ich war nicht hierhergekommen, um zu lächeln und eine Show abzuziehen.
Nein!, dachte ich nur, als Tonio zu mir ans Bett kam, um mir einen Vortrag zu halten. Allein schon sein Anblick machte mich wild. Er löste fast eine allergische Reaktion aus. Seine Allwissenheit, sein dauerndes Gebrabbel brachten mich an den Rand des Wahnsinns.
»Haltung ist alles, Alvise. Mit so einem Gesicht, wie du es machst, wirst du nicht gesund. Verstehst du, was ich meine?«
Einen Augenblick lang fragte ich mich, ob ich wirklich einen so erbärmlichen Eindruck hinterließ. Aber falls ja, dann nicht, weil ich Mitleid wollte, sondern
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