Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Geliebte des Gelatiere

Die Geliebte des Gelatiere

Titel: Die Geliebte des Gelatiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Zahno
Vom Netzwerk:
verhedderte ich mich mit dem Infusionsständer, mein Blut lief durch die Kanüle in den Glucose-Schlauch, ich geriet in Panik und musste mit heruntergelassener Hose einen Pfleger rufen, der die Sache wieder in Ordnung brachte. Mein Einstand in der neuen Abteilung war nicht besonders geglückt, aber da ich alle zwanzig Minuten auf die Toilette musste, hatte ich Gelegenheit zu üben, wie man trotz Infusionsständer solche Reiswasserdurchfälle einigermaßen menschlich bewältigte.
    Als ich wieder im Bett lag, wandte sich mein Zimmergenosse an mich und stellte sich vor.
    »Ich heiße Tonio.«
    »Alvise.«
    Tonio war schon seit Monaten im Spital, hatte Probleme mit der Galle und der Bauchspeicheldrüse – die Ärzte standen vor einem Rätsel. Aber es schien ihm ganz gut zu gefallen im Spital, man habe ja alles, Essen, Fernsehen, Zeitungen, es sei wie im Hotel. Nach seinem Loblied auf das Ospedale kam er zu mir ans Bett und schaute mich durch seine dicken Gläser prüfend an.
    »Wir werden uns gut verstehen, Alvise, es ist wichtig, dass zwei Zimmergenossen immer zusammenhalten, nicht wahr?«
    »Klar«, sagte ich. Ich hatte wieder Krämpfe im Bauch, das Fieber war trotz der Infusionen bei fast vierzig, und ich sehnte mich nach nichts mehr als nach Ruhe. Tonio stand auf, ging zum Schrank und kramte ächzend darin herum. Dann schien er das Gesuchte gefunden zu haben und humpelte zu meinem Bett.
    »Ich hab was für dich.«
    »Du hast was für mich?«
    »Etwas sehr Wertvolles.«
    Ich schaute ihn mit großen Augen an.
    »Betrachte es als Geschenk, als Willkommensgeschenk.«
    Seine Züge verschwammen mir vor den Augen. Das Einzige, was ich mir wünschte, war Gesundheit, das konnte mir Tonio nicht schenken. Aber so, wie er sein Geschenk ankündigte, war ich trotzdem gespannt, um was es sich handelte.
    »Bewahre es gut auf. Wenn du rauskommst aus dem Spital, wirst du daran denken, was dir dein Freund Tonio ans Herz gelegt hat.«
    Ich nickte.
    Tonio zupfte ein kleines Stück Papier aus einem Täschchen und reichte es mir.
    »Hier!«, sagte er mit Inbrunst.
    »Danke!«, sagte ich, noch bevor ich einen Blick darauf geworfen hatte. Als ich das Ding sah, war mein Erstaunen noch größer.

»Weißt du, wer es ist?«
    »Padre Pio«, sagte ich. Ich hielt ein Heiligenbildchen von Padre Pio in den Händen, eines von der Art, wie man sie in der Grundschule im Religionsunterricht bekommt.
    »Kennst du ihn?«
    »Ja, klar.«
    »Bete zu ihm, Alvise, und du wirst schon bald wieder draußen sein. Der Heilige Pio hat Macht, große Macht, er wird dich von deinen Schmerzen erlösen.«
    Ich bedankte mich nochmals und hoffte, dass Tonio von mir abließ. Stattdessen setzte er sich auf den Rand des Bettes und begann, mit Begeisterung von dem Kapuzinermönch aus Giovanni San Rotondo zu erzählen – seine Augen lachten vor Glück, als er von dem Jesus-Wiedergänger mit den Wundmalen an Händen und Füßen sprach, der sein Leben lang nur gebetet und gebeichtet und Wunder getan habe.
    »Kennst du seine Geschichte?«
    »Nein«, sagte ich, und im Moment, in dem ich dies sagte, wusste ich, dass ich das auf keinen Fall hätte sagen dürfen.
    Er erzählte vom Kastanienwunder, das der Tante Daria das Leben gerettet habe, von den fingerlosen Baumwollhandschuhen, die die Kreuzigungsmale verdeckten, und von den Ministranten, die seine Hände geküsst und danach Blutreste am Mund gehabt hätten, ganze Blutkrusten, mit denen in der Tasche sie schwierige Aufgaben bestanden hätten – und das Blut Pios habe wie ein Talisman geholfen.
    »Du kennst die Geschichte der Pio-Statue, die Tränen aus Blut weint?«
    »Ja, ja«, log ich.
    »Und dass die Stigmata am Schluss, als er starb, verschwunden sind?«
    »Davon habe ich gehört«, sagte ich. »Aber ich würde jetzt gerne schlafen. Ich bin absolut erschöpft.«
    »Keine Narben, keine Rötung, absolut nichts war zu sehen, als der Dottore Scarale gerufen wurde. Ist das nicht ein weiteres Zeichen? Dass die Stigmata ein Zeichen für das irdische Leben waren und deshalb verschwinden mussten?«
    Ich nickte und wurde zunehmend ärgerlich. Merkte dieser Mensch denn gar nichts?
    »Und doch existieren Fotos, die eindeutig beweisen, dass Licht durch die Löcher in den Händen Pios schien. Fotos von Elia Stelluto, dem Leib- und Seelenfotografen Pios.«
    Ich schaute ihn grimmig an.
    »Außerdem hat Padre Pio immer nach Veilchen gerochen, hat Blumenduft verströmt. Deshalb siehst du auf dem Bild auch diese Veilchen.«
    Mir dröhnte der

Weitere Kostenlose Bücher