Die Geliebte des Gelatiere
dann in den schmalen Canale di Santa Chiara, wo der Fahrer verlangsamte. Bei den Anlegestellen warteten jede Menge Leute auf das Vaporetto, vom großen Parkhaus der Piazzale Roma her strömten Touristen, die mit dem Wagen vom Festland gekommen waren, und aus einer Gasse stürmte eine Meute johlender Kinder. Das alltägliche Leben nahm seinen gewohnten Lauf, und trotz oder gerade wegen meiner Schmerzen nahm ich alles mit gesteigerter Empfindung wahr.
Durch den Canal Grande erreichten wir den Rio di Cannaregio, fuhren an San Alvise und den Fondamente Nuove vorüber, bis wir schließlich beim Landungssteg des Ospedale anlangten. Ich wurde aus dem Boot gehievt und kam in einen Rollstuhl, der dort abgestellt war, keine Schubkarre. Hastig wurde ich über das freie Gelände geschoben, der Wind pfiff mir um die Ohren, es zog heftiger als am Zattere-Quai, und als wir zum Eingang des Pronto Soccorso kamen, zur Notfallstation, krampfte es mir wieder den Bauch zusammen, dass ich mich gleich zur nächsten Toilette schleppte und es gerade noch auf die Schüssel schaffte. Als der Krampf nachließ und ich nach dem Papier greifen wollte, sah ich mit Bestürzung den leeren Halter.
13
Ich kam in ein leeres Fünferzimmer, nicht in der Abteilung Malattie Infettive, den Infektionskrankheiten, wo ich hingehört hätte, sondern in der Dermatologie. Es war das einzige freie Zimmer. Am Ende des Ganges wurde mir ein eigenes WC zugewiesen, das mit »Defekt« angeschrieben war, aber doch halbwegs funktionierte. Die Toilette hatte ein Fenster mit Sicht auf San Michele. Jedes Mal, wenn ich auf der Brille saß, sah ich die Toteninsel. Die Ärzte vermuteten, dass ich Salmonellen oder Typhus hatte.
Ich war erschöpft und schlief gleich ein. Als ich wieder aufwachte, hatte ich unerhörten Durst. In der Wüste hätte man nicht durstiger sein können. Mein Mund fühlte sich an wie ein vertrockneter Marmorkuchen, meine Zunge wie ein Ziegelstein. Ich rief nach dem Pfleger und bat um eine Tasse Tee, aber dieser klärte mich auf, dass es für das ganze Spital nur einmal am Morgen und einmal am Nachmittag Tee gebe und dass man wegen einer Person keine Ausnahme machen könne. Mein Versuch, ihn für eine Tasse zu bezahlen, wies er empört zurück. Dafür suchte er eine geeignete Armvene und steckte mir eine Kanüle in den Unterarm. Aus einer Flasche tropfte nun über einen Schlauch eine durchsichtige Glucose-Lösung in mich hinein. Offenbar machte es keinen Sinn mehr, mir irgendetwas über Magen und Darm zuzuführen, es wurde sowieso gleich wieder hinausgeschleudert. Der Pfleger ermahnte mich, den Arm immer gestreckt zu halten, damit das Blut nicht in die Kanüle flösse, und nichts an der Dosierklemme zu verändern, weil sonst die Vene platzen könnte. Dann wurde er in ein anderes Zimmer gerufen, und ich döste ein.
Wenig später weckte mich eine Schwester. In der Abteilung »Infektionskrankheiten« war ein Bett frei geworden. Sie räumte meine Sachen zusammen, und ich humpelte im Pyjama mit dem Infusionsständer hinter ihr her zum Lift. Ich dachte, dass sich die Abteilung im selben Gebäude befand, aber ich täuschte mich. Unten nahm sie mir die blauen Plastiküberzieher von den Schlappen, und dann ging es nach draußen. Der Wind war heftig, ein Sturm im Anzug, Böen trugen große, schwere Regentropfen heran, und ich schlotterte am ganzen Körper. Gehetzt gingen wir um Ecken, überquerten einen Innenhof, vorbei an einem Brunnen, ich schob meinen Infusionsständer, versuchte den Arm gestreckt zu halten und verlor jede Orientierung. Aber es war mir egal, ich sehnte mich nur nach Wärme und einem Bett. Schließlich gelangten wir zu einer Pforte mit einer Milchglastür, die Schwester streifte mir blaue Plastiküberzieher über, und schon ging es rechts ins erste Zimmer hinein, ein Zweierzimmer, in dem ein alter Mann mit wildem Haar aufrecht in seinem Bett saß und mit großen, hinter dicken Brillengläsern verschwimmenden Augen schweigend zusah, was für einen neuen Zimmergenossen er erhielt.
Ich war froh, mich hinlegen und ausruhen zu können. Kaum lag ich auf dem Bett, bekam ich Bauchkrämpfe, und ich musste mit dem Infusionsständer und ausgestrecktem Arm auf die Toilette rennen, um nach dem krachenden Durchfall mich und die von oben bis unten verspritzte Schüssel mit einer Hand zu säubern, während ich bei der anderen aufpassen musste, dass ich sie nicht hängen ließ. Alles einhändig zu machen war nicht einfach, und da ich keine Erfahrungen hatte,
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