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Die Geliebte des Gelatiere

Die Geliebte des Gelatiere

Titel: Die Geliebte des Gelatiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Zahno
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weil es mir erbärmlich ging.
    »Denke positiv, Alvise, du darfst dich nicht so gehen lassen. Auf keinen Fall darfst du dich so gehen lassen. Das ist nicht gut.«
    Ich blickte zum Infusionsständer. Und dann zu Tonio.
    »Also, schlaf gut, Alvise. Und denk darüber nach, was ich dir gesagt habe.«
    »Gute Nacht, Tonio.«
    Er nahm seine Prothese aus dem Mund und löschte das Licht. Ich war so erschöpft, als hätte ich Wochen ohne Schlaf zugebracht. So mitgenommen, dass ich im Stehen hätte einnicken können. Aber Tonio war schneller. Kaum hatte er sich ins Bett gelegt, erfüllte sein gleichmäßiges Sägen das Zimmer. »Tonio!«, rief ich zu ihm hinüber, immer wieder »Tonio!«, doch er hörte nichts. Verärgert kroch ich unter die Decke und versuchte zu schlafen. Für die Nacht hatte ich mir alles Mögliche vorgestellt, mir Horror-Szenarien ausgemalt, aber mit solch einem Schnarchen hatte ich nicht gerechnet. An Schlaf war nicht zu denken. Also wälzte ich mich im Bett hin und her und hing meinen Gedanken nach.
    Auf dem Gang hörte man die klappernden Schritte der Nachtschwester, einer der Pfleger zockelte in Holzsandalen umher, irgendwo ging eine Tür, aus der Ferne vernahm man das leise Brummen von Maschinen und einen hohen Alarmton. Ich dachte an den Mundschutz, mit dem eine Pflegerin ins Zimmer gekommen war, und an den Tuberkulosekranken, der eine Tür weiter lag. Tuberkulose! Als ob einem der eigene Infekt nicht schon genug Angst und Schrecken einjagte.
    Von der anderen Seite des Zimmers drang das zufriedene, selbstvergessene Sägen Tonios herüber. Aber es schien nach und nach an Zufriedenheit zu verlieren und wandelte sich mehr und mehr in ein Stöhnen, erinnerte eher an ein Röcheln denn an Schnarchen. Litt Tonio unter Schmerzen oder plagte ihn ein Alptraum? Das Röcheln ging mir durch Mark und Bein. Ich wartete ein paar Minuten, versuchte mich abzulenken, doch das Stöhnen verebbte nicht: Als es immer lauter und heftiger wurde, fragte ich mich, ob Tonio im Sterben lag und ich die Nachtschwester rufen musste. Es war ein dauerndes Wehklagen und Wimmern, mal lauter, mal leiser, und ich sehnte mich nach meiner Wohnung zurück, nach der Ruhe und Abgeschiedenheit meiner Dachkammer. Zum Glück schaute die Nachtschwester herein, ohne dass ich sie rufen musste. Sie tippte Tonio kurz an, er drehte sich zur Seite, und sein Röcheln verstummte.
    Kaum war sie draußen, drehte er sich um, und es ging wieder los mit dem Stöhnen und Wimmern. Ich rätselte, ob ich ihn schon angesteckt hatte, denn genau so, wie er klang, fühlte es sich in mir an – ohne dass ich je so hätte stöhnen können. Ich schwankte zwischen Mitleid und Wut, wusste nicht, welche Regung angebracht war.
    So vergingen die Stunden, und wiewohl todmüde, tat ich kein Auge zu. Ich war aufgewühlt, verärgert, erschlagen, aber auch voller Angst, dass der Tod im Raum war und nur darauf wartete, einen von uns hinwegzuraffen. Als mich wieder Krämpfe schüttelten, schleppte ich mich ins Bad, wo das Papier ausgegangen war. Statt mitten in der Nacht die Schwester um ihre Ruhe zu bringen, zog ich es vor, im Schrank neben Tonios Bett die Rolle hervorzuholen, die mir Paolina mitgegeben hatte. Ich öffnete leise die Tür, kramte das Paket hervor, als Tonio wie ein Samurai aus seinem Bett hochschoss und mich mit weit aufgerissenen Augen fragte, was ich da mache.
    »Das Klopapier ist alle«, sagte ich. »Ich lege eine neue Rolle ein.«
    »Halt! Halt! Halt!«, schrie Tonio. »Tu daf auf gar keinen Fall!«
    »Wieso?«
    Ich musste dringend aufs Klo, ich hatte keine Zeit für Diskussionen.
    »Diefef Papier kommt von drauffen. Ef ift voller Keime, Bakterien, Bafillen. Du darfft ef auf gar keinen Fall gebrauchen!«
    Tonio sprang aus dem Bett, pflanzte sich wie ein Soldat vor mir auf und versperrte mir den Weg ins Bad.
    »Quatsch!«, sagte ich. »Dieses Papier hat mir meine Freundin mitgegeben. Es ist so gut wie das Spitalpapier. Es ist sogar noch besser, es ist weicher und nicht so hart wie das Papier hier.«
    »Aber ef ift voller Keime!«, rief Tonio. »Leg ef fofort wieder in den Frank furück!«
    »Es hat nicht mehr Keime als das andere Papier auch. Es ist ganz normal eingepacktes, dreilagiges Toilettenpapier.«
    »Nein, nein, nein! Da find jede Menge Keime drin! Ich habe gefehen, wie deine Freundin ef aufgepackt und auf den Boden gelegt hat. Daf darf man nicht, daf ift äufferft gefährlich!«
    Ich wurde wütend. Es war nachts um drei, ich hatte eine Kolik, und wenn

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