Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Geliebte des Gelatiere

Die Geliebte des Gelatiere

Titel: Die Geliebte des Gelatiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Zahno
Vom Netzwerk:
als sich ein übergewichtiger Mann mit umgedrehter Baseballmütze auf dem Kopf durch den engen Korridor zwängte und einen Karton mit Hot Dogs und Cola-Dosen aus der dinette holte, bekam ich Gänsehaut.
    Die Anstrengungen der Reise machten sich allmählich bemerkbar. Seit fünfzehn Stunden war ich unterwegs. In aller Herrgottsfrühe war ich vom Campo Sant’Agnese aufgebrochen und mit dem Schnellboot zum Flughafen Marco Polo gefahren, war nach Rom und von dort über den Atlantik geflogen. Jetzt war ich vor lauter Erschöpfung völlig überdreht.
    Auf der anderen Seite des Flusses rollte ein Güterzug, der von fünf mächtig qualmenden Lokomotiven gezogen wurde, im Schritttempo am Ufer entlang. Wie eine Schlange wand sich der Zug über die kurvige Strecke. Sein Ende war nicht zu sehen.
    Manövriert von einem Leichter, nahm auf dem Hudson ein imposantes Tankschiff Kurs auf New York. Hochspannungsleitungen führten von der Kugel eines Atomkraftwerks ins Landesinnere. In der Mitte des Flusses tauchte eine Insel mit einer alten Burg auf. Die Ufer links und rechts des Stromes, die Sümpfe, die Wasserpflanzen und Möwen erinnerten mich an die Lagune. Ich fühlte mich fast wie zu Hause.
    Nach gut zwei Stunden kündigte der Schaffner Hudson an. Ich nahm mein Gepäck und ging zur Tür. Der Ausstieg war so hoch, dass der Schaffner einen gelben Hocker auf den Bahnsteig stellen musste. »Mind your step!«, rief er, ein verstauchter Knöchel würde empfindliche Schadenersatzforderungen zur Folge haben. Die ältere Dame vor mir fasste er bei der Hand und half ihr wie ein Galan aus einem anderen Jahrhundert aus dem Waggon.
    Aus einem anderen Jahrhundert war auch der Bahnhof. Winzig das Bahnhofsgebäude, ein mickriger Parkplatz und gähnende Öde dahinter. Die blaue Farbe des gewellten Stationsschildes blätterte ab, der Schriftzug »Hudson« war von Rissen durchzogen. Das Gebäude mit seinen gusseisernen Säulen sah aus wie ein verschlafenes Pfarrhaus aus der Kolonialzeit. Nachdem die ausgestiegenen Fahrgäste mit ihren Autos vom Parkplatz weggebraust waren, herrschte Totenstille. Kein Mensch zu sehen, kein Taxi, nichts. Auf der gegenüberliegenden Seite blinkte unter einem Supply-Schild ein Getränkeautomat mit einer riesigen Pepsi-Flasche. Eine Katze humpelte über das Pflaster, eine Krähe flog über den Platz. Im Wartesaal herrschte Leere. Obwohl Hudson eine Stadt ist, hatte ich das Gefühl, am Ende der Welt zu sein. Fora dal mondo. Was machte ich hier?
    Ich nahm einen kräftigen Schluck aus der Trinkflasche, kramte meine Dimes aus der Hose und warf sie in den Schlitz der offenen Telefonzelle, um ein Taxi zu bestellen. Am anderen Ende meldete sich die heisere Stimme eines alten Mannes. Als ich »Alvise« sagte, brüllte er »who?« ins Telefon. Ich wiederholte meinen Namen, aber er hängte, noch während ich sprach, ein. Ich fluchte und versuchte es noch einmal, aber diesmal ging niemand mehr an den Apparat. Ich eilte zurück ins Bahnhofsgebäude, doch der Beamte hatte den Schalter mit einem schweren Eisengitter verrammelt. Es blieb mir nichts anderes übrig, als draußen zu warten, bis jemand auf den Parkplatz vorfuhr und mich mitnahm.
    Verärgert saß ich neben meinem Gepäck und schaute der Katze zu, die es auf eine im Straßengraben herumhüpfende Amsel abgesehen hatte. Ein betrunkener, verwahrloster Mann kam auf mich zu. Er suchte die Toilette. Ich konnte ihm nicht helfen.
    Nach einer dreiviertel Stunde tauchte ein Taxi auf, das beim Getränkeautomaten hielt. Der Fahrer verschwand in einem Büro, das mir vorher nicht aufgefallen war. Ich überquerte die Straße, trat in das Office und fragte, ob er mich zu meiner Pension nach Kinderhook fahren könne.
    »Kinderhook?«, wiederholte er und schaute mich von oben bis unten an.
    »Woher kommen Sie?«
    »Aus Venedig.«
    »Aus Venedig?«
    »Ja, Dorsoduro.«
    »Dorso what?«
    »Dorsoduro.«
    »Duro. Damn. Ich war noch nie in Europa. Meine Tochter lebt zwar in Frankreich, in der Nähe von Paris. Aber ich kann es mir nicht leisten, zu ihr zu fliegen. Ich war mein Leben nie außerhalb der Vereinigten Staaten. Nicht einmal in Kanada war ich, obwohl das nicht weit ist.«
    »Schade, dass Sie nie aus Amerika rausgekommen sind.«
    »Das stört mich nicht. Amerika ist groß genug.«
    Er nahm einen Zug an seiner Zigarette, blies genüsslich den Rauch aus und musterte mich erneut.
    »Venedig, da kommen die Spaghetti her.«
    »So ungefähr.«
    »Dann sind Sie jetzt ziemlich lange

Weitere Kostenlose Bücher