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Die Geliebte des Gelatiere

Die Geliebte des Gelatiere

Titel: Die Geliebte des Gelatiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Zahno
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unterwegs?«
    »Zwanzig Stunden.«
    »Steigen Sie ein. Ich bespreche noch den Dienstplan für morgen, dann fahre ich Sie.«
    Er ging ins Hinterzimmer und unterhielt sich, wie ich sehen konnte, mit einem Dicken, der an einem Bier nippte und Nachrichten schaute. Nach einem heftigen Wortwechsel, von dem ich nicht die Hälfte verstand, knallte der Fahrer die Glastür hinter sich zu und kam zum Wagen.
    Missmutig drückte er sich in das dunkelrote Polster seines Schlittens. Es war ein alter Chevy, der ein leises, tiefes Brummen von sich gab. Langsam fuhren wir den Hügel hinter dem Bahnhof hoch und gerieten nach zwei Ampeln in ein slumartiges Viertel mit Bretterverschlägen. Auf der Straße lungerten düstere Typen herum, die den Chevy mit Argwohn beäugten. Einer hatte einen großen Stein in der Hand.
    Wenig später standen wir in einer herausgeputzten Straße, in der sich Antiquitätenladen an Antiquitätenladen reihte. In jedem Schaufenster hing das Sternenbanner. Dazu alte oder auf alt getrimmte Möbelstücke. Nach der Prachtstraße passierten wir ein Spital, graue Villen, graue Veranden, Häuserzeilen wie Filmkulissen, ohne Menschen auf dem Trottoir. Schließlich kamen wir aus Hudson heraus und fuhren an einer Landmaschinenfabrik vorbei über sanfte Hügel Richtung Kinderhook. Die Strecke führte durch grünes, bewaldetes Gebiet. Immer wieder säumten Tümpel und Teiche, Pferdekoppeln und Silos die Straße.
    Ein Straßenschild wies zur Route 66, die offenbar in der Nähe verlief. Wir nahmen die Route 9 und rauschten an einem Diner vorbei, der mit leuchtenden Neonschriften für Coke und Ice-Sandwiches warb. Zur Rechten folgte ein Flugfeld, zur Linken eine Obstfarm. Der Fahrer blieb stumm. Mir war es recht, nicht reden zu müssen.
    Allmählich brach die Dämmerung herein. Im Radio lief Hotel California von den Eagles, und ich freute mich auf die Pension in Kinderhook. Wir bogen in eine Nebenstraße. Die Gegend wurde immer einsamer. In einem Waldstück nach einer Kuppe trat der Fahrer hart auf die Bremse. Wild querte die Straße, drei, vier Tiere preschten mit hohen, eleganten Sprüngen auf die andere Seite. Ihre Augen blitzten im Scheinwerferlicht, ihre weißen Schwänze wippten, als sie in den Wald flohen.
    »Deer«, sagte der Fahrer, um dann wieder zu schweigen.
    Ich nickte. Neugierig sah ich dem Hirsch und den Rehen nach, die im Unterholz verschwanden, dann schaute ich auf das von Schüssen durchlöcherte Straßenschild, das vor Wildwechsel warnte.
    Auch die nächsten Schilder waren allesamt zersiebt – Children at Play, Kinderhook Fire District, Dead Dog’s Curve. Als wir in Kinderhook anlangten, war mir kalt.
    Ich bezahlte, der Fahrer steckte die Dollars achtlos in die Brieftasche. Als ich mit meinem Gepäck vor der Pension stand, drehte er um und rief mir aus dem Wagen heraus nach: »Passen Sie auf sich auf, Mann. Ist nicht ungefährlich hier.«
    Ich fragte mich, was er meinte. Aber ich war zu müde, um darüber nachdenken zu können. Ich war froh, endlich da zu sein.
    In der Pension machte ich mich frisch, stillte meinen Hunger mit einer Suppe und einem Hot Dog und legte mich dann hin. Ich wälzte mich im Bett herum, drehte und wand mich, starrte an die Decke. Von draußen drang fahles Mondlicht he-
rein und das Heulen von Kojoten.
    18
    Zwischen glänzenden Pferden und schwarz gescheckten Kühen sauste ich über die leicht abfallende Straße. Zum ersten Mal seit meiner Vergiftung fühlte ich mich frei, leicht, beschwingt. Berauscht von der Geschwindigkeit, spürte ich, wie mein Herz schlug und immer rascher zu schlagen begann.
    Ich hatte das Rad in der Pension ausgeliehen und war gegen elf aufgebrochen. Die Sträßchen, die ich benutzte, waren still und kaum befahren. Reiher stolzierten über den Asphalt und erhoben sich erst im letzten Augenblick in die Luft. Ab und zu passierte ich eine Ranch, eine alte Scheune oder einen Schuppen. Meist aber ging es durch Wald und Wiesen. Das Stampfen von Pferdehufen begleitete mich wie das Surren der Räder, und von manchen Feldern schwangen sich Truthähne auf.
    An jeder Ecke hingen leuchtend orange Anschläge, die das Betreten von Grundstücken untersagten und bei Zuwiderhandlung mit Verfolgung drohten. Ich dachte an die zerschossenen Schilder und trat umso heftiger in die Pedale. Jedes Mal, wenn ich an einem Haus vorbeikam, bellte ein Hund. Aber die Hunde waren angekettet oder trauten sich nicht auf die Straße.
    Während des Fahrens versuchte ich mir auszumalen, was ich

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