Die Geliebte des Gelatiere
Wasser, tätschelte es, tauchte sachte ein und kam gerade wieder heraus, während er selber elegant auf- und abbalancierte und sich duckte, um sich nicht den Kopf am Gemäuer anzuschlagen.
Gleich nach der Brücke kamen wir zu meiner Gelateria. Antonio begrüßte mich überschwänglich. Er umarmte mich und fragte, wie es mir gehe. Ich nickte. In der Eisdiele sei alles in Ordnung, ich solle mir keine Sorgen machen. Er habe alles im Griff. Reichlich Klientel, reichlich Umsatz. Vanilleeis sei gerade der Renner. Vanilleeis! Ich wusste nicht, ob mich das beruhigte oder eher beunruhigte. Ich spürte einen leichten Druck auf der Stirn.
Nach einem kurzen Schwatz brachte mich Michele zum Campo Sant’Agnese und hoch zu meiner Dachkammer. Es roch muffig, die Luft im Zimmer war dumpf. Ich öffnete die Läden, die Paolina zugezogen haben musste, und ließ Licht und Luft herein. Auf dem Parkett waren noch Spuren der Schubkarre zu sehen. Als ich auf den Schreibtisch blickte, sprang mir das offene Tagebuch mit der halb herausgerissenen Seite ins Auge.
Ich packte meine Sachen aus, machte einen Tee und legte mich ins Bett. In der Zwischenzeit kaufte Michele Karottensuppe. Es war das Einzige, was mir bekam. Er bugsierte ein ganzes Einkaufswägelchen voll Karottensuppe zu mir – Kartonpackungen mit fertigen Suppen, die nicht besonders gut schmeckten. Aber kulinarische Raffinesse war jetzt nicht das Wichtigste.
Nachdem er die Einkäufe in der Küche verstaut hatte, setzte er sich zu mir ans Bett. Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er das Hotel Bauer vorgeschlagen hatte. Er meinte, letztlich sei er an allem schuld. Ich versuchte ihm seine Schuldgefühle auszureden, sagte, dass das überall hätte passieren können, musste immer wieder gähnen und hatte Mühe, nicht auf der Stelle einzunicken.
»Halt die Ohren steif!«, sagte er nach einer Weile, er musste zurück in seine Apotheke. Der Satz deprimierte mich. Er klang, als wäre ich ein schlimmer Fall.
Trotzdem hoffte ich, so bald wie möglich wieder hinter der Theke zu stehen, am frühen Morgen wieder frisches Eis zu machen. Ich stellte mir vor, für die »Mostra Internazionale del Gelato« eine neue Komposition mit Papayas und Passionsfrüchten zu kreieren, um die »Coppa d’Oro« zu verteidigen. Doch rasch zeigte sich, dass ich den Grad meiner Erschöpfung unterschätzt hatte. Saft- und kraftlos schleppte ich mich durch die Tage. Wagte ich die paar Schritte zur Gelateria, geriet ich schon nach wenigen Metern außer Atem und schaffte es kaum mehr zurück.
Meist lag ich einfach im Bett und hing meinen Gedanken nach. Stundenlang starrte ich zur Decke und dachte gelangweilt an die Stukkateurinnen. Da mir das Lesen schwerfiel, horchte ich auf die Geräusche der Brandung, das Anklatschen des Wassers, lauschte den Möwen, den Booten und Passanten, roch Diesel, feuchte Luft, Moder, bis mich das stete Murmeln des Wassers in den Schlaf wiegte. Ich träumte von einem Riesenpudel, der freudig an mir hochsprang und mir die Füße leckte, was mich mit seltsamer Lust erfüllte. Das Gurren von Tauben riss mich aus dem Traum. Meine Gedanken schwankten zwischen der Zunge des Riesenpudels und dem Desaster im Spital.
Ich fühlte mich elend. Vielleicht war ich aber auch nur so verbittert, weil Paolina mir zusetzte. Ich hatte ihr das Album Cambio von Lucio Dalla zukommen lassen, Lieder, die wir oft zusammen gehört hatten. Sie schickte es zurück. Sie wünsche mir von Herzen gute Besserung, aber ich solle sie in Ruhe lassen.
Das Gerücht, dass sie wieder mit dem Metallbauschlosser zusammen war, bestätigte sich. Eines Nachmittags, als ich Antonio in der Gelateria einen kurzen Besuch abstattete, kreuzte sie mit ihrem Toskaner auf, um an der Zattere ein Gianduiotto zu lutschen. Er trug Manchesterhosen und einen Schnurrbart, sie ein feuerrotes Kleid von Dolce & Gabbana. Als sie zur Theke kamen, wandte ich mich ab. Hätte ich bedient, hätte ich ihr den Portionierer um die Ohren geschlagen. Ich starrte nur ins Hinterzimmer, wo der Freezer stand, und kochte vor Wut.
Alles entglitt mir, Paolina, die Gesundheit, die Gelateria. Meine Tage bestanden aus Karottensuppe, aus dem Wegwischen von Scheiße und aus Stuhlproben. Ich wechselte den Arzt, man entdeckte abermals Salmonellen, und ich begann erneut mit einer Antibiotika-Kur. Die Angst, ein Dauerausscheider zu sein, der ein Leben lang Salmonellen in sich trug und für andere eine Gefahr darstellte, wuchs von Tag zu Tag.
Dann zeigten sich erste
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