Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)
Euch überhaupt entdeckt
habe unter den Schneemassen.“
In mir kamen Bilder und Gefühle hoch: Meine Wut,
als ich Cheng-Si trat und davon ritt; der zunehmende Sturm; der viele Schnee;
die Kälte; meine Frustration und Panik; der Sturz zu Boden; der warme Atem
meines Pferdes, als es an mein Gesicht stupste und mich aufzufordern schien, mich
zu erheben; und zu guter Letzt: Dunkelheit.
Doch jetzt erinnerte ich mich an noch etwas
anderes…
Es war dunkel; ein fürchterliches Gefühl umgab
mich, als fiele ich ins Ungewisse. Schwerelos trieb ich umher und es war, als
gäbe es keine Zeit. Schließlich aber tauchte weit entfernt ein Licht auf; wurde
immer größer. Es pulsierte in roten und gelben Farbtönen und wirkte warm und
kühl zugleich. Ich lenkte meine gesamte Konzentration auf dieses Licht und
verspürte den Drang, darauf zu zugehen. Mit einem Mal war alles um mich herum
erhellt. Doch das Gefühl des Fallens nahm nicht ab, verstärkte sich durch die
Helligkeit nur noch mehr, und ich geriet in Panik. Von weitem hörte ich
jemanden rufen: „Entscheide dich.“
Ich wusste nicht, worauf ich mich konzentrieren
sollte und ließ schließlich erschöpft locker. Eine Lichtwelle schwemmte mich
mit sich und das rasante Tempo nahm wieder ab. Es war, als gleite ich durch
Raum und Zeit und das Licht umhüllte mich schließlich in warmes Rot. Das grelle
Gelb war vollkommen verschwunden, und ich fühlte mich wohl. Innere Ruhe
erfasste meinen Verstand und es wurde wieder dunkel um mich...
„Es war kein schöner Anblick, als ich Euch
gefunden hatte. Ich dachte erst, Ihr wäret tot…“ Itosus Worte holten mich
wieder zurück aus meiner Erinnerung und ich sah, dass er sehr ernst geworden
war. Fast hatte ich das Gefühl, er spräche nur zu sich, während er sich
offenbar an den Tag erinnerte, als er mich gefunden hatte.
***
Itosu erinnerte sich an den Tag, als wäre es
gestern gewesen. Er war auf der Suche nach Brennholz gewesen, als er – wider
seine Gewohnheit – den Weg über den Hügel abkürzte. Normalerweise blieb er auf
dem Trampelpfad durch den Wald, aber an diesem Tag hatte er das unbestimmte
Gefühl, einen anderen Weg einschlagen zu müssen. Er war den Hang
hinaufgeklettert, kämpfte sich durch den Neuschnee und hätte geflucht, wenn er
nicht in seinem langen Leben die Erfahrung gemacht hätte, sich immer auf sein
Gefühl verlassen zu können. „Itosu“, hatte er zu sich gesagt, „das Leben wird dir
schon eine Überraschung bereithalten.“ Und so war es auch gekommen.
Als er den Hügel erklommen hatte und aus dem Wald
herausgetreten war, sah er eine Hand am Boden liegen. Erschrocken kniete er
sich hinunter und schob die weißen Massen, die die Hand umgaben, beiseite. Nach
und nach kamen ein Arm, dann ein Kopf, Schultern und schließlich ein
Frauenkörper zum Vorschein. Itosu legte seine Hand auf den Hals der Frau und
spürte einen kläglichen Rest an Lebensenergie. Er ließ das Brennholz zurück und
trug stattdessen den leblos scheinenden Körper in seine Hütte, wickelte die
Frau in Felle und kümmerte sich um ihre Füße, die bereits dunkel leuchteten.
Itosu hatte von seiner Großmutter gelernt, die
Lebensenergie eines jeden Lebewesens positiv zu beeinflussen und er hatte schon
vielen kranken Tieren geholfen, wieder gesund zu werden. Diese Frau war nach
langem der erste Mensch, den er behandelte, denn er führte hier in seiner Hütte
ein sehr zurückgezogenes Leben.
Er setzte all sein Wissen ein. Auch verwendete er
die Akupunkturnadeln, die er von seiner Großmutter bekommen hatte, braute Tee,
machte Wickel und gab ihr Energieschübe, so oft er konnte. Die Energie der
Kranken aber ließ mehr und mehr nach und Itosu spürte, wie der letzte Rest an
Wärme aus den Beinen aufwärts zum Kopf wanderte.
Doch Itosu gab nicht auf. Er war sich zu sicher,
dass in ihrem Körper noch ein Rest von Lebensenergie steckte. Er setzte eine
Nadel direkt auf Ihre Schädelplatte. Es war eine spezielle Stelle, die er einst
von seiner Großmutter gezeigt bekam. Der Impuls der Nadel würde dazu führen,
dass der Körper den Energiefluss wieder in alle Gliedmaßen freigeben würde,
wenn der Patient dies auch in seinem tiefsten Inneren zuließe. Itosu hoffte,
dass die junge Frau noch genug Lebenswillen in sich trug und rief sie an:
„Entscheide dich!“
„…und Ihr habt Euch entschieden“, sagte er zu
seiner jungen Patientin, die ihm gebannt zuhörte. „Ich war so froh für Euch,
als die Energie sich wieder in
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