Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)
Webschnüre war an einer Holzleiste befestigt, die an der Wand
verankert war. Das andere Ende, an dem der fertige Stoff hing, war in eine Art
Holzzange eingeklemmt, so dass er vor sich nur die letzten fünfzig Reihen
hatte. Die Holzzange hatte an beiden Seiten eine Art Gürtel, den Itosu um seine
Hüfte gelegt hatte; er steckte sozusagen im Webrahmen und hatte über seinen
Knien den fertigen Stoff liegen. Die Dichte des Stoffes erzielte er unter
anderem durch die Spannung der Fäden und diese konnte er kontrollieren, in dem
er sich mehr oder weniger stark in den Gurt stemmte.
Die Spannfäden verliefen über einen Kamm, der sie
so trennte, dass das Schiffchen mit dem Zierfaden wie ein Pfeil durchschoss.
Mit Interesse sah ich, wie der Faden hin und her glitt und der Stoff auf diese
Weise Reihe für Reihe wuchs.
„Für wen fertigt Ihr die Stoffe?“
Itosu sah auf und schob das Schiffchen sozusagen
blind weiter. „Ich verkaufe sie auf dem nächsten Markt, eine Tagesreise
entfernt.“ Er wies auf ein paar Ballen, die in einer Ecke des Raumes sauber
aufeinander gestapelt lagen. „Die werde ich bald liefern.“ Er sah mich wieder
an und fügte hinzu: „Wenn es Euch besser geht, dass ich Euch ein paar Tage
alleine lassen kann.“
Schuldbewusst hatte ich das Gefühl, der alte Mann
hätte schon längst aufbrechen müssen. „Wie lange würde es dauern, bis Ihr
wieder zurück wärt?“
Itosu rechnete nach. „Einen Tag, bis ich dort bin;
einen halben Tag, um die Stoffe auszuliefern und neue Aufträge anzunehmen. Ich
könnte noch am selben Tag den Rückweg antreten und wäre am dritten Tag zurück.
Aber Ihr seid noch nicht so weit, dass ich Euch alleine lassen kann. Und es ist
noch nicht so dringend, als dass ich sofort gehen müsste.“
Darüber war ich erleichtert. Solange ich mich noch
nicht alleine fortbewegen konnte – in irgendeiner Art – wollte ich nicht
alleine zurückbleiben.
Ein paar Tage später hatte Itosu sich, während ich
schlief, aufgemacht, Brennholz zu sammeln. Frisch erwacht verspürte ich den
dringenden Wunsch meiner Blase, sich zu entleeren. Wie sollte ich das
anstellen?
Normalerweise half mir Itosu, obwohl es mir
anfangs sehr peinlich gewesen war, die Hilfe des Mannes in Anspruch nehmen zu
müssen; doch schon bald empfand ich ihn als so vertraut, dass seine Anwesenheit
keine Rolle mehr spielte.
Jetzt aber – wenn ich nicht bald eine Lösung fand
– würde um mich herum eine Pfütze entstehen. Diese Vorstellung war mir doch
sehr unangenehm.
Ich setzte mich auf und versuchte mich zu knien.
Das klappte ganz gut, auch wenn es im Schienbein ziemlich zog. Kniend robbte
ich voran, verspürte aber einen zunehmenden Schmerz in der Wade, der
schließlich so schlimm war, dass ich mich auf den Bauch legen musste.
Da lag ich nun und suchte einen akzeptablen Weg,
mich zu erleichtern. Knien war nicht möglich aufgrund der Schmerzen in den
Beinen. Also zog ich mich mit beiden Armen vorwärts und robbte zur Tür. Der
Blasendrang wurde immer schlimmer und ich musste erkennen, dass ich es niemals
rechtzeitig bis nach draußen schaffen würde.
Mein Blick fiel auf die Schalen im Regal und ich
änderte meine Robb-Richtung. Mit letzter Kraft hangelte ich nach einer der
Schalen, warf dabei das Regal um und musste mit ansehen, wie alles zu Bruch
ging. Erschöpft und frustriert ließ ich meine Stirn auf den Boden knallen und
benässte den Fußboden nicht nur mit meinen Tränen.
So liegend fand Itosu mich kurz darauf, als er aus
dem Wald zurückkehrte. Ich weinte mittlerweile bitterlich und als der alte Mann
mich hochheben wollte, schlug ich nach ihm. „Lasst mich! Ich bin schmutzig!“
„Das macht mir nichts. Kommt, wir müssen Euch umziehen.
Ihr erkältet Euch sonst.“
„Das ist mir egal! Dann sterbe ich vielleicht
endlich! In diesem Zustand will ich nicht weiterleben!“
„Ihr redet sehr dumme Sachen. Ich kann verstehen,
wenn Ihr Euch ärgert. Aber das ist kein Grund, sich aufzugeben.“ Resolut hob er
mich aus dem Chaos.
„Ich habe alles kaputt gemacht“, flüsterte ich
unter Tränen.
„Das kann man doch alles ersetzen. Aber ein Leben
nicht und ich bitte Euch, habt wieder Mut.“
Itosu holte neue Kleider und wenig später lag ich
trocken und wohlig unter meiner Decke.
Vor Erschöpfung schlief ich ein.
27 EIN erster Schritt
nach vorne
Ein Klopfen weckte mich aus dem Schlaf. Itosu war
nebenan und schien Holz zu zerkleinern. Aber es hörte sich nicht an, wie die
Herstellung von
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