Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)
Auf der anderen Seite der Tür stand
ein Regal, in dem Schalen verstaut waren und – soweit ich es erkennen konnte –
Krüge.
Mein Blick fiel wieder auf die Holzdecke über mir.
Büschelweise hingen dort Kräuter oder etwas Ähnliches. Erst jetzt bemerkte ich
den aromatischen Duft, der im Raum hing und atmete ihn tief ein. Dann versuchte
ich, meinen Körper zu bewegen. Vorsichtig zog ich die Schultern hoch.
Anschließend streckte ich meinen Hals und bemerkte das leise Knacken der
Wirbel. Als nächstes streckte ich meine Arme und genoss das Gefühl, die Muskeln
zu dehnen.
Wie lange ich wohl schon hier lag? Es fühlte sich
an, als wäre ich wochenlang ohne Bewegung gewesen. Die Hüfte war ebenfalls
beweglich, wie ich feststellte. Ich zog die Knie an, um meine Beine anzuwinkeln
– und stutzte. Da war: Nichts. Es fühlte sich jedenfalls so an, als hätte ich
keine Füße. Da, wo sie hätten sein sollen, berührte etwas den Boden,
aber es war ein vom Körper losgelöstes Gefühl, das mein Verstand nicht
einordnen konnte.
Ich versuchte, mich aufzusetzen, war dazu aber zu
schwach. Angst überkam mich.
„Hallo?“, rief ich in den Raum. „Ist jemand da?“
Schritte waren auf dem Boden zu spüren. Jemand
lief außerhalb des Zimmers und näherte sich. Ich spürte, wie die Bretter unter
mir leicht nachgaben.
„Ihr seid wieder wach“, sagte die männliche
Stimme, die ich schon das letzte Mal vernommen hatte. Der Mann kniete sich
neben mich und diesmal war ich nicht geblendet. Ich blickte in das Gesicht
eines alten Mannes, der mich freundlich ansah. „Mein Name ist Gishin Itosu.“ Er
verneigte sich. „Ihr seid hier in Sicherheit.“
Erneut sah ich mich um und hob den Kopf. „Shao. Wo
ist mein Sohn?“
Itosu sah mich an. „Ihr wart alleine, als ich Euch
fand. Einen Jungen habe ich nicht gesehen.“
„Er ist noch ein Säugling.“ Verzweifelt ließ ich
den Kopf zurückfallen. „Sie haben ihn mir weggenommen.“ Die Tränen brachen
wieder aus mir heraus und hinterließen schmale Silberstreifen in meinem
Gesicht. Meine Schultern bebten unter dem stummen Schrei und ich hatte das
Gefühl zu ersticken. Mir war, als schnürte mir der Hals zu, und dieser Schmerz
zog sich brennend bis in die Brust.
Itosu legte seine Hand auf meinen pochenden Kehlkopf
und sofort wurde ich von einer wohligen Wärme erfasst. Die Trauer um meinen
Sohn ebbte ab und ich fiel in eine angenehme Schwere.
Kurz bevor ich einschlief, hörte ich ihn murmeln:
„Ich glaube, Ihr müsst Euch noch ein wenig ausruhen. Eure Geschichte könnt Ihr
mir später erzählen, wenn Ihr kräftiger seid.“
Jemand bewegte meine Beine und ich öffnete die Augen.
Itosu kniete am Ende meines Körpers und wickelte gerade meinen linken Fuß in
Tücher ein. Ich sah an mir herunter und erschrak ein wenig. Mit eigenen Augen
sah ich, wie er meine Füße berührte – doch wieder spürte ich: Nichts. Nur wenn
Itosu mit den Tüchern meine Knöchel streifte, kitzelte es ein wenig.
Schließlich war der alte Mann mit dem Einbinden
fertig und griff neben sich. Schweigend sah ich zu, wie er mit der einen Hand
einem blankpolierten Holzkästchen etwas Langes, Spitzes entnahm und mit der
anderen nach meinem Knöchel griff. Ich erkannte eine Nadel und sah – mehr
erstaunt denn überrascht – zu, wie er sie zielsicher drei Finger breit oberhalb
des Fußknöchels setzte. Schon wollte ich protestieren, als mir eine wohlige Wärme
auffiel, sowie das Gefühl, tatsächlich Füße zu haben. Denn bis jetzt war es,
als ob unterhalb des Knöchels nichts existierte.
Ich hatte mich auf meine Ellenbogen gestützt und
sah zu, wie Itosu auch am zweiten Knöchel eine Nadel in der Innenseite setzte.
Schließlich zog er noch zwei weitere Nadeln aus dem Kästchen und tastete meine
Knie an den Außenseiten ab. Auch hier versenkte er jeweils eine Nadel
zielsicher und freute sich, als ich vor Entspannung seufzte und mich auf den
Rücken fallen ließ.
„Das ist das Meer der Energie “, sagte er.
„ Meer der Energie ?“, fragte ich
interessiert.
Itosu nickte. „Dieser Punkt fördert die
Durchblutung in Euren Beinen.“
Meine Beine! Das war es, was mich zum Thema zurückbrachte.
„Was ist mit meinen Füßen? Wieso sind sie eingebunden? Und wieso fühlen sie
sich so – unwirklich an?“
„Ihr habt Euch die Füße verletzt und ich habe sie,
so gut es ging, versorgt.“
Mit dieser Aussage war ich zunächst zufrieden. Im
Moment wollte ich die volle Wahrheit ohnehin nicht wissen. Ich
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