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Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)

Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)

Titel: Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Pilastro
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abgelenkt. Deshalb hatte ich den Hunger nicht verspürt.“
    Itosu nickte. „Der Hunger war also nichts anderes
als…“
    „…ein Gefühl“, beendete ich seinen Satz.
    Er nickte wieder und ergänzte: „Oder eine Information.“
    „Dann meint Ihr also, Schmerz und Taubheit wäre
auch nur eine Information , auf die ich mich konzentriere?“,
schlussfolgerte ich fragend.
    „Was ich meine, ist unerheblich. Ihr müsst
herausfinden, ob es für Euch zutrifft.“ Mit diesen Worten beendete Itosu die
Unterhaltung und erhob sich. „Ich gehe in den Wald, etwas Brennholz sammeln.
Ich werde vor Einbruch der Nacht wieder zurück sein.“
    „Meister?“, fragte ich hastig. „Ihr habt schon
lange nicht mehr die Nadeln gesetzt. Und wäre es nicht Zeit für einen neuen
Aufguss?“
    Itosu sah mich an. „Ja, Ihr habt Recht“,
antwortete er, machte aber keine Anstalten, sich zu bewegen.
    Eine Zeit lang beobachtete ich ihn und fragte
schließlich: „Braucht es dafür nicht Euren Heilsud?“
    „Das stimmt“, antwortete er, erhob sich, zupfte
ein paar Kräuter aus einem der getrockneten Büsche, die an der Decke hingen,
und brühte sie auf. Nachdem sie etwas gezogen hatten, kam er mit einer Schale
dampfenden Sud zurück. Diese stellte er demonstrativ vor mich mit einem „Hier,
bitte“ auf den Boden und blieb stehen.
    Sollte ich es etwa alleine machen?
    Itosu beobachtete mich. „Es sind Eure Füße“,
erklärte er mir schließlich. „Wenn Ihr kämpfen wollt, dann ist es Eure
Entscheidung. Wenn Ihr aufgeben wollt, ebenfalls. Ihr könnt die Verantwortung
für Euch und Euren Körper nicht an mich abtreten.“ Da kniete er sich zu mir
hinunter und sah mir direkt ins Gesicht. „Shao-Ma! Entscheidet Euch endlich,
was Ihr wollt! Und dann tut es!“
    Ich starrte auf die Schale mit der Flüssigkeit,
starrte auf die frischen Wickel und schließlich auf die Klumpen am Ende meiner
Beine.
    Itosu sah mich noch immer an.
    Schließlich gab ich mir einen Ruck und griff
zunächst nach dem alten Verband auf der rechten Seite. Wie beim ersten Mal
zitterten meine Hände sehr, als ich die Stoffe löste. Die Füße schienen
mittlerweile etwas weniger geschwollen zu sein, als beim ersten Hinsehen. Die
Zehennägel waren noch immer sehr dunkel, aber man konnte einzelne Zehen
erkennen. Bei näherer Betrachtung stutzte ich allerdings. Irgendetwas stimmte
nicht! Ich zählte die verfärbten Nägel.
    „Eins – zwei – drei – vier…“ Mit zitternder Stimme
merkte ich, dass der kleine Zeh fehlte. Er war einfach nicht da. Stattdessen
blickte ich auf einen Wulst von Haut. Panisch riss ich den Verband vom linken
Fuß und musste feststellen, dass mir an diesem sogar zwei Zehen fehlten. Um den
Anblick nicht weiter ertragen zu müssen, presste ich die Augen zusammen. Mir
fehlten drei Zehen!
    „Seht sie Euch genau an. Das sind Eure Füße.“
Itosus Stimme drang von außen an mich heran.
    Doch ich hielt noch immer die Augen geschlossen
und schüttelte den Kopf. „Das sind nicht meine Füße“, flüsterte ich weinend.
„Das sind nicht meine Füße.“ Wieder und wieder sagte ich es, immer lauter,
immer kraftvoller; schließlich schrie ich allen Frust aus mir heraus:
     
    „DAS. SIND. NICHT. MEINE. FÜSSE!“
     
    Ich fiel nach vorne auf meinen Schoß und vergrub
mein Gesicht. Warm spürte ich Itosus Hand auf meinem Rücken.
    „Ist schon gut, Shao-Ma. Das war ein guter Schritt
nach vorne. Lasst es nur heraus. Niemand hat gesagt, dass es einfach sein
würde.“
    Tränen verschleierten meinen Blick und mein Körper
zitterte heftig unter den schmerzlichen Empfindungen, die über mich
hereinbrachen. Hier und jetzt wünschte ich, ich hätte ebenso verunstaltete Füße
wie Shinlan, denn die hatten wenigstens einigermaßen nach etwas ausgesehen. Und
man hatte sich auf ihnen fortbewegen können. Ich verstand Itosu nicht, wie er
glauben konnte, dass ich jemals wieder auf diesen Dingern gehen würde.
Unmöglich!
     
    Nachdem der größte Frust herausgeschrien war und Itosu
mir erklärt hatte, dass die Zehen nicht zu retten gewesen waren und ihm
wichtiger gewesen war, mein Leben zu retten, bemerkte ich in mir einen
Wandel. Ich begann, mich mit der Situation abzufinden und schaffte es schließlich
sogar – wenn auch unter Tränen –, die Haut an meinen Beinen zu berühren. Im
Schienbeinbereich spürte ich noch den leichten Druck meines Fingernagels.
Langsam wanderte ich hinab bis an die Knöchel. Die Haut hier fühlte sich an wie
Leder. Ich beobachtete, wie

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