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Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)

Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)

Titel: Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Pilastro
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nicht die
erhoffte Erfrischung. Als der Durst schließlich unerträglich geworden war,
fasste ich einen Entschluss. Ich rollte das Brett an den Terrassenrand und ließ
die Beine herunterbaumeln. Nachdenklich sah ich auf meine Füße herab. Die amputierten
Stellen waren gut verheilt, die Farbe annehmbar. Die Zehennägel waren noch
immer sehr dunkel und ich hatte das Gefühl, dass sie ihr Aussehen nie wieder
verändern würden.
    Mein Blick fiel auf die Quelle, die vielleicht
zehn Schritte entfernt lag. Zehn Schritte bedeuteten für mich die Welt und ich
musste allen Mut zusammen nehmen, um die Füße auf den Waldboden zu stellen.
    Nach zwei Monaten endlich wieder direkten Kontakt
mit dem Boden zu haben, fühlte sich irgendwie seltsam an; meine Fußsohlen kribbelten
ein wenig.
    Der Weg zur Quelle war schneefrei, weil Itosu ihn
oft benutzte. Vorsichtig verlagerte ich mein Gewicht nach vorne und versank
beinahe knöcheltief im Gras.
    Der erste Versuch aufzustehen.
    Langsam erhob ich mich und schaffte es
tatsächlich, aus eigener Kraft zu stehen. Die Gefühle überwältigten mich und
ich fiel wie ein nasser Sack zurück auf meinen Hintern. Ein weiterer Versuch
folgte gleich. Vorsichtig richtete ich mich auf und setzte ein Bein vor das
andere. Der erste Schritt war getan. Doch dann verlor ich den Mut und fiel zur
Seite um – direkt in den Schnee, der noch seitlich des Weges lag. Panik ergriff
mich bei dem Kontakt mit der kalten Masse, doch die Angst aktivierte ungeahnte
Kräfte, die mich reflexartig aufspringen ließen. Erst nach wenigen
Schrecksekunden begriff ich, dass ich wirklich stand und einen Schritt vor den
anderen setzte, nur um endlich bei der Quelle anzukommen. Weinend brach ich
dort zusammen.
    Das Weinen ging nahtlos in Lachen über und bald
sah man an der Quelle eine junge Frau sitzen, die vor Freude laut in den Himmel
schrie:
     
    „Ich habe es geschafft. ICH. BIN. GELAUFEN!“
     
    Erst jetzt merkte ich, dass ich vergessen hatte,
einen Krug mitzunehmen. Entmutigt seufzte ich, ärgerte mich über meine eigene
Dummheit und zwang mich zum Rückweg. Dieser war jedoch um einiges einfacher.
Die Schritte wie ein Klapperstorch setzend, erreichte ich mit zittrigen Beinen
die Terrasse. Erst als ich mich dort auf die Knie fallen ließ, bemerkte ich die
Anstrengung, die meine Muskeln ausgehalten hatten. Nach Wochen der Pause war es
für meine Beine eine Meisterleistung gewesen und es dauerte eine Weile, bis sie
nicht mehr zitterten. Vor lauter Aufregung hatte ich gar nicht daran gedacht,
direkt von der Quelle zu trinken und ich musste darüber lachen. Für einen
weiteren Versuch war ich allerdings zu schwach und ich begnügte mich mit dem
Wasser, welches sich bereits im Krug angesammelt hatte. Später lutschte ich
dann doch den Schnee, den ich vom Rande der Terrasse nahm. Überglücklich fiel
ich an diesem Abend in einen tiefen Schlaf.
     
    Schon am nächsten Tag versuchte ich erneut zur Quelle
zu gelangen. Ich hatte entsetzliches Muskelziehen, doch die Motivation war
stärker als der Schmerz. Mit tapsigen Schritten und ausgerüstet mit einem Krug
ging ich zur Quelle, füllte ihn und erreichte auch wieder die Terrasse. Noch
nie hatte Wasser so gut geschmeckt: süß und weich wie die Freiheit.
    Ich war glücklich.
     
    Als Itosu am Abend des dritten Tages am Rande der
Lichtung auftauchte, saß ich bereits an der Terrasse und erhob mich, als ich
ihn entdeckte. Itosu blieb erstaunt stehen und betrachtete das Schauspiel, das
ich ihm bot. Wackelig stand ich auf und machte ein paar unbeholfene Schritte
auf ihn zu. Als ich zu straucheln drohte, eilte Itosu auf mich zu und fing mich
rechtzeitig auf.
    „Was für eine Überraschung“, rief er erfreut. „
Vielleicht sollte ich öfters auf den Markt gehen.“
    Lachend hielt ich mich an ihm fest. „Ich bin froh,
dass Ihr wieder zurück seid.“
     
    Die nächsten Tage verbrachte ich damit, das Gehen
zu üben. Gegen die Muskelschmerzen gab mir Itosu einen Sud aus Majoran und
Gänseblümchen, woraufhin das Gehen wieder ein Stück erträglicher wurde. Nun
konnte ich auch endlich die Gegend erkunden, in der ich mich schon seit
mehreren Wochen befand.
    Das Haus stand an einem Hang mitten im Wald. Die
Bäume waren überwiegend Nadelhölzer und Itosu sammelte während meiner Übungen
die vielen Zapfen vom Boden, um sie zu trocknen; sie dienten der Glut als erste
Nahrung am Morgen, wenn das Feuer wieder angefacht werden musste.
    Mein erster Rundgang führte mich um das Haus.
Itosu

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