Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)
da wenigstens irgendetwas von einem Kind? Die Worte
zogen an seinen Augen vorbei, doch von einem Neugeborenen war auch hier keine
Rede.
Er nahm die dritte Rolle zur Hand, deren Datum zeigte,
dass sie ein paar Tage später geschrieben worden war.
„…Die Ehrwürdige Hauptfrau ist zurückgekehrt. Das an sich ist nicht die Neuigkeit, die ich Dir verkünden möchte. Mit sich trug
sie einen kleinen Jungen. Stell Dir vor: Unser Kaiser hat einen legitimen
Thronfolger. Sie hat den Jungen abseits des Hofes geboren, was natürlich die
Gerüchteküche kräftig angeschürt hat. Doch für glaubwürdige Zeugen hat sie
gesorgt.
Ich darf Dir also heute endlich mit Freuden,
nach all den Trauerfällen der letzten Zeit, eine frohe Botschaft überbringen:
Die Erbfolge ist gerettet und Shenzong sieht es einmal mehr als oberstes Gebot,
ein vereintes Kaiserreich zu erzielen – seinem Sohn als Geschenk.
Ich hoffe, die winterlichen Verhältnisse nehmen
bald ein Ende. In nicht allzu ferner Zeit werde ich mich wieder auf die Reise
zu Dir machen, so dass wir vor Ort alles Weitere besprechen können. Hier am
Hofe ist im Moment ohnehin kein anderes Gespräch mehr möglich als Windeln,
Kinder und Weiberkram…“
War das zu fassen? Bao zerknüllte auch diesen
Brief und wusste nicht wohin mit seiner Ohnmacht und Wut. Alles hatte er in
wenigen Minuten verloren: Die Frau; den Sohn, den er nie gekannt hatte; ein
Leben in familiären Verhältnissen. Und als wäre es nicht genug, so hatte der
Kaiser plötzlich seinen langersehnten Thronfolger.
Baos Zähne knirschten und er musste tief
durchatmen, um nicht laut zu schreien. Er verließ sein Quartier und die kalte
Luft nahm ihm fast den Atem. Die Gedanken kreisten wild und verschiedene Bilder
schossen ihm durch den Kopf: Min-Tao, wie er mit ihr in der Thujenhecke stand;
wie sie mit ihm am Seeufer saß; ihr Lachen; die Träume der Geburt ihres
gemeinsamen Sohnes. Alles vorbei…
Bao hatte sich, tief in seine Gedanken verloren,
in Bewegung gesetzt und war im nahen Wald verschwunden. Hoch am Himmel schien
der helle Vollmond auf ihn herab und da konnte er den Schmerz nicht mehr
zurückhalten. Er stieß einen lauten Schrei aus, der in die Nacht hallte und an
den benachbarten Feuern Alarm auslöste. Tumult kam auf im Lager und man hörte
Männerstimmen, die durcheinander riefen, Waffen, die gegeneinander stießen beim
Verteilen und das Wiehern von Pferden.
„Was machst du hier?“
Jemand hatte sich hinter Bao gestellt und er fuhr
herum. Fong Ketùn, seine rechte Hand, stand vor ihm. Ketùn war seit den Kämpfen
im Herbst nicht mehr von seiner Seite gewichen und über die Monate fast schon
ein Freund für ihn geworden. Doch selbst ihm gegenüber hatte Bao stets
geschwiegen, was Min-Tao betraf. Über seine Liebe konnte er mit niemandem
sprechen.
„Ich dachte, ich hätte einen Schrei gehört“,
antwortete er stattdessen geistesgegenwärtig.
„Ja. Die Männer haben auch etwas vernommen. Aber
es ist wohl nichts, oder?“
Bao sah noch einmal zum Vollmond hinauf. „Nein, es
ist wohl nichts. Ruf die Männer zurück.“
Die Ohnmacht, die Bao fühlte, schlug mit den Wochen,
die verstrichen, in Wut um. Es kam nun öfters vor, dass Bao während des
Trainings seine Schläge nicht abfing, sondern durchzog – wenn auch nicht mit
vollem Einsatz. Doch auch die gebremste Kraft war genug, um seinem
Trainingspartner, dem guten Ketùn, Schmerzen zuzufügen.
Der machte das einige Zeit mit, bis er eines
Morgens eine Unaufmerksamkeit Baos nutzte und ihn während des Trainings zu
Boden brachte.
Bao war über dieses flinke Manöver überrascht und
sah verwundert zu seinem Freund auf, als dieser über ihm gebeugt einen
Handkantenschlag zum Hals in letzter Sekunde abbremste.
„Was ist los mit dir?“, fragte er Bao.
Bao schwieg für einige Sekunden und presste dann
ein knurrendes „Nichts“ heraus.
Ketùn hielt ihm die Hand hin und half ihm vom
Boden aufzustehen. „Den Eindruck habe ich nicht. Du hast mich während der
letzten Tage ziemlich hart angefasst. Das ist nicht deine Art und ich mache mir
Gedanken.“
„Wir werden bald wieder in den Kampf ziehen
müssen. Ich wollte nicht, dass du verweichlichst“, konterte Bao ausweichend.
Doch Ketùn ließ nicht locker. „Du magst denken,
dass dich keiner kennt, doch ich durfte viel Zeit an deiner Seite verbringen
und ich sage dir, es gibt etwas, was dich so sehr beschäftigt, dass du nicht
mehr der bist, den ich kenne. Einigen Männern ist das auch schon
Weitere Kostenlose Bücher