Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)

Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)

Titel: Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Pilastro
Vom Netzwerk:
es
wirklich?“
    Meine Augen füllten sich mit Tränen und ich
nickte.
    Bao befühlte meine Stirn, meine Brauen, Nase und
Wangen. Dann tastete er nach meinen Schultern, fasste meinen Ellenbogen und
nahm schließlich meine Hand in die seine. Während dessen starrte er mich an,
als sei ich eine Erscheinung.
    „Du lebst“, flüsterte er. Und dann erst schien er
zu begreifen. „Du lebst!“ Er packte mich und riss mich an sich, hielt meinen
Hals, drückte mein Gesicht an seine Brust, umarmte mich und konnte die eigenen
Tränen nicht mehr zurückhalten. Schluchzend lagen wir uns in den Armen und
hatten nicht bemerkt, wie Ketùn hereingekommen war.
    „Was ist denn hier los?“, rief er.
     
    ***
     
    Ketùn hatte sich auf den Weg zu Shao-Ma gemacht,
um zu sehen, ob Bao schon etwas herausgefunden hatte. Vielleicht war ihr Mann
ja schon gestorben, hoffte er. Bis jetzt hatten sie kaum Verluste gehabt – aber
vielleicht hatte es diesen Kerl ja getroffen. Nicht, dass er ihr die Trauer
wünschte – oder doch?
    Er war zum Zelt gelangt und war eingetreten. Ein
Mann umarmte Shao-Ma.
    Der Mann war Bao.
    „Was ist denn hier los?“, fragte er, doch die
beiden nahmen ihn gar nicht wahr. „Was ist hier los?“, fragte er noch einmal,
diesmal um einiges lauter.
    Erschrocken drückte sich Shao-Ma von Bao weg, der
sich zu ihm umdrehte.
    „Ist er Euer Mann?“ Verständnislos
wechselte Ketùn seinen Blick zwischen beiden hin und her. „Aber ich dachte,
deine Frau sei tot“, fragte er Bao irritiert.
    „Das dachte ich auch“, antwortete dieser.
    „Aber wo kommt sie auf einmal her?“ Ketùn verstand
die Welt nicht mehr. Dass diese Frau vergeben war, hatte er schmerzlich
verkraften können, aber sollte sein Freund, sein Idol etwa der sein, der
ihm diese Schönheit vorenthielt?
    „Wir hatten noch nicht die Zeit, das näher zu erörtern“,
konterte Bao scharf. „Ich bin gerade erst zu ihr gekommen.“
    Ketùn verstand. Er war hier unerwünscht, und auch wenn
er es nicht wollte, so entfernte er sich mit wachsendem Zorn in seinem Magen.
     
    ***
     
    Wir hatten uns auf den Boden gesetzt und ich hatte
meine Geschichte erzählt. Von der Schwangerschaft, von Shaos Geburt, von seiner
Entführung und wie ich geflüchtet war.
    „Das ist doch schon vor einer Ewigkeit geschehen“,
stellte er überrascht fest. „Wo bist du in all der Zeit gewesen?“
    „Ich konnte nicht eher kommen.“ Und ich beendete
meinen Bericht mit der Erzählung von Itosu und was ich dort alles erlebt hatte.
Nichts ließ ich aus. „…und dann bin ich in den Fluss gefallen. Ketùn hat mich
gefunden und hergebracht.“
    Bao schwieg zunächst.
    „Was hast du alles erleiden müssen!“, murmelte er
schließlich. Er sah mich an, der Blick voller Mitgefühl. „Zeig mir deine Füße“,
bat er mich und griff nach meinem Rocksaum.
    Doch ich hielt seine Hand fest. „Bitte nicht!“
    „Min-Tao. Ich will es sehen. Ich muss es
sehen. Du hast so viel auf dich genommen! Lass mich daran teilhaben. Lass uns
den Schmerz teilen, damit er nicht mehr so schwer auf dir lastet.“
    Zunächst zögernd ließ ich ihn schließlich
gewähren. „Ich werde nie wieder dieselbe sein“, kommentierte ich den Anblick,
der sich Bao bot.
    Er streichelte über die Stummel, die einmal Zehen
gewesen waren und sah mich erneut liebevoll an. „Im Herzen bist du noch immer
die gleiche und einzig das zählt für mich. Und wenn du keine Füße mehr gehabt
hättest und dein Gesicht noch so viele Schrammen davongetragen hätte. Ich hätte
dich erkannt und genauso geliebt wie vorher.“ Er nahm mein Gesicht in seine
Hände und küsste mich auf die Stirn.
    Nach einer Weile des Schweigens ergriff ich wieder
das Wort.
    „Ich hätte dir gerne deinen Sohn gezeigt“, begann
ich zu weinen, „aber sie haben ihn uns weggenommen.“
    „Still, meine Liebe“, beruhigte er mich. „Cheng-Si
wird vor ihrem Tod bestimmt noch einen sicheren Ort für ihn gefunden haben, wo
er es gut hat.“
    „Vor ihrem Tod?“ Erschrocken sah ich ihn an.
    Da begriff er, dass ich einiges nicht zu wissen
schien. „Sie ist gestorben“, erklärte er. „Ich nehme an, dass sie an den Folgen
deiner Rettung gestorben ist. Ich weiß es nur aus Erzählungen von Wang Anshi.
Es tut mir leid, wenn du es nun unter diesen Umständen erfährst.“
    Ich war mir nicht sicher, ob ich Trauer empfand
oder nicht. Schließlich war es die Frau gewesen, die Shao hatte wegbringen
lassen, auch wenn es zu seinem und zu meinem Wohl gewesen war. Doch

Weitere Kostenlose Bücher