Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)
beschämt die Augen. „Du hast Recht,
alter Freund. Es tut mir leid. Aber ich warte nun schon so lange auf diesen
Moment; es war mir nicht möglich, eher zu kommen.“
„Aber jetzt bist du da“, sagte der Alte.
„Wo ist sie?“, wollte Bao wissen.
„Im Wald. Sie sammelt Pilze und Beeren. Sie kommt
bestimmt bald zurück.“
„Ich werde ihr entgegen gehen.“
„Du weißt doch gar nicht, in welche Richtung sie gegangen
ist.“
Bao konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
„Glaubt mir, Meister. Ich werde sie finden.“
„Oh ja, das wirst du. Also geh! Komm, Ketùn. Hilf
mir beim Holzmachen!“
Die beiden Männer entfernten sich und Bao schloss
die Augen. Bald war es soweit. Bald würde er Min-Tao wieder ein seinem Arm
halten.
„Sie heißt jetzt Shao-Ma. Vergiss das nicht“, rief
ihm der alte Mann nach und Bao konnte ein Kribbeln im Nacken nicht unterdrücken.
Der Mann hatte es faustdick hinter den Ohren!
Doch er hatte Recht: Min-Tao war tot. Die Frau,
mit der er seine Zukunft verleben wollte, war Shao-Ma.
„Wo bist du?“, flüsterte er in den Wald und wählte
schließlich instinktiv eine Richtung.
***
Ich hatte eben eine größere Ansammlung von Pilzen
unter einem Baum entdeckt, als sich etwas in meinem näheren Umfeld schlagartig
änderte. Das Herz raste und ich fühlte mich beobachtet. Hatte ich nicht
aufgepasst und mich zu weit vom Haus entfernt? Hatte mich eine Wildkatze oder
gar ein Bär gewittert?
„Ruhig bleiben“, murmelte ich, hob den Korb auf
und presste ihn an mich. „Es ist alles gut!“
Ich schloss die Augen und prüfte meinen
Herzschlag. Der erste Schreck hatte sich gelegt; ich atmete tief ein und wieder
aus. Wie ich da so stand und mich beruhigte, schoss mein Gedanke zu Bao. Wann
würde er wohl endlich kommen?
„Wo bist du?“, tönte es in meinem Kopf.
Hatte ich mir das eben eingebildet?
Prüfend sah ich mich um, konnte aber nichts und niemanden
entdecken.
Dann war ich plötzlich sicher. Den Korb ließ ich
fallen und eilte, so schnell ich konnte über den weichen Waldboden. Es ging nur
langsam voran und meine Suche nach Pilzen hatte mich über einen nahen Hügel
geführt. Der leichte Anstieg war noch ein wenig beschwerlich, doch ich hatte
bald die Kuppe erreicht.
Da sah ich ihn und meine Beine versagten mir ihren
Dienst. Ich knickte ein und fiel auf den Boden. Bao schien beinahe zu fliegen
und war schon im nächsten Moment bei mir, um mich aufzufangen.
Überglücklich und gleichzeitig fassungslos lag ich
in seinen Armen und war wie gelähmt.
Er wiederum herzte und küsste mich überall in
meinem Gesicht, am Hals, an den Händen, erneut im Gesicht.
„Endlich bist du da“, stammelte ich.
Unsere Blicke trafen sich zu einem zeitlosen
Moment, wie damals, als wir uns anlässlich des Mondfestes das erste Mal gesehen
hatten. Es war, als hätte sich ein Kreis geschlossen.
„Für immer dein“, sagte ich.
„In alle Ewigkeit“, antwortete er.
Wir trugen unseren gemeinsamen Sohn im Herzen und
sahen endlich der gemeinsamen Zukunft entgegen, von der wir schon so oft
gesprochen und an die ich bis zuletzt geglaubt hatte.
EPILOG
Dongjing, 1086
„Und so waren sie endlich vereint, nach so langer
Zeit“, schloss Zhousheng ihre Erzählung. Der kleine Junge war still auf ihrem
Schoß gesessen und hatte gebannt zugehört. „Manche Menschen sagen, sie hat
ihren Sohn im Stich gelassen. Wie denkst du darüber?“ Zhousheng sah ihn gespannt
von der Seite an.
Shao, der kleine Junge, runzelte die Stirn und man
sah ihm an, dass er angestrengt überlegte. Schließlich kam er zu einem
Ergebnis. „Ich finde nicht, dass sie ihn im Stich gelassen hat. Sie wusste ja,
dass er ein besseres Leben hätte, wenn sie sich nicht verriet.“
„Da hast du wohl Recht“, stimmte Zhousheng ihm zu.
Man hätte Min-Taos Neugeborenen niemals unbemerkt
in den Palast schleusen können. Aus diesem Grund hatte Cheng-Si wenige Tage
nach der Geburt veranlasst, dass Dai Lian-Cui den Neugeborenen zu ihr,
Zhousheng – seiner Großmutter –, brachte. Sie erinnerte sich noch genau an den
Tag, als Shao in ihr Haus kam. Es war an dem Tag, als ein reitender Bote die
Nachricht vom Tode ihrer Tochter gebrachte hatte...
Qing, zehn Jahre zuvor
Zhousheng saß gebeugt über dem Brief, den sie
gerade vom kaiserlichen Hof erhalten hatte. Tränen fielen auf das Papier,
verwischten die Tinte und machten die Worte unleserlich. Doch Zhousheng war das
egal. Sie würde nie vergessen, was
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