Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)
ins Gesicht sagen.“
Die Frau beobachtete Zhousheng sehr genau. Schließlich
legte sie ein Lächeln auf. „Das hat sie – soeben. Ihr haltet ihr Siegel in der
Hand.“
Zhousheng begriff nicht sofort. Sie starrte auf
das Siegel und beim näheren Hinsehen erkannte sie, dass es das der Hauptfrau
war. Sie blickte in das Gesicht der Frau. „Woher habt Ihr das?“, fragte sie.
„Es ist ein Unikat – und es ist mein Siegel.“
Zhousheng sah von der Frau auf das Siegel und
wieder zurück. Man sah ihr den inneren Zwiespalt an, ob sie der Frau Glauben
schenken sollte oder nicht. „Ich brauche einen Beweis.“
„Das Siegel ist Beweis genug“, entgegnete die Frau
etwas schärfer. „Ich bin Suan-Jen, die Gemahlin des Kaisers. Aber hier bei Euch
bin ich einfach eine Frau, die den Tod Min-Taos bedauert und die ihrem Sohn
eine Chance geben will, die kein anderer Junge jemals bekommen wird. Der
Zeitpunkt seiner Geburt ist optimal, wenn ihr versteht, was ich meine.“
Zhousheng verstand gar nichts und schüttelte den
Kopf.
Suan-Jen nahm sie am Arm und bat sie, sich zu
setzen. „Ich habe es in all den Jahren nicht geschafft, ein Kind zur Welt zu
bringen. Da eine der Nebenfrauen reihenweise Kinder von Shenzong bekam…“,
Suan-Jens Stimme klang verbittert, „…gehe ich davon aus, dass es meinem Körper
versagt bleibt, jemals Mutter zu werden. Ich nehme jede Möglichkeit wahr, bei
dem Kaiser zu liegen. Dieser Junge in Eurem Haus gibt mir die Möglichkeit, nun
doch die Mutterfreuden zu leben und zugleich diese quälende Frage nach einem
Nachkommen aus der Welt zu schaffen.“ Suan-Jen sah Zhousheng an. „Ich bin sehr
offen zu Euch, wie noch zu keiner vorher. Ich kenne Euch nicht – Ihr kennt mich
nicht. Vertraut auf meine Worte und gebt mir den Jungen. Es wird ihm gut gehen
bei mir und niemand wird sich um seine Herkunft Gedanken machen, denn sein
Vater wird Shenzong, der Kaiser, sein.“
Zhousheng schlug die Hände vor die Augen und schüttelte
heftig mit dem Kopf. „Bitte nehmt mir nicht meinen Enkel. Er ist das Einzige,
was mir geblieben ist von meiner Tochter. Ich könnte es nicht ertragen, ohne
ihn zu leben.“
„Dann kommt mit mir“, beschloss Suan-Jen. „Kommt
mit mir und helft mir bei der Erziehung. Ich brauche ohnehin einen Zeugen, der
mir bestätigt, dass er mein rechtmäßiger Sohn ist. Euch kennt am Hofe niemand.
Und Wang Anshi weiß Bescheid – auch wenn er es abstreiten würde.“
Zhousheng rang mit sich. Ihr Mann war bereits vor
einigen Monaten gestorben und im Grunde band sie nichts mehr an diesen Ort.
Schließlich traf sie ihre Entscheidung.
„Ich werde mit Euch kommen.“
„Gut“, sagte Suan-Jen. „Macht Euch bereit; wir
reisen ab, sobald es uns möglich ist.“
So kam es, dass Shao als Zhezong an den Hof
gebracht wurde. Ein paar böse Zungen behaupteten natürlich, dass der Junge
untergeschoben war, doch niemand wagte es, das öffentlich auszusprechen.
Wang Anshi hielt sich ebenfalls zurück, als er
sah, in wessen Begleitung Suan-Jen an den Hof zurück kam. Er erkannte Zhousheng
nicht und so fehlte ihm ein Hinweis auf die wirkliche Herkunft des kleinen
Jungen. Vielleicht hätte es ihn letzten Endes erfreut, zu wissen, dass Bao
Sen-Hos Sohn einmal Kaiser sein würde. Doch Wang Anshi hatte vorerst andere
Probleme. Man hatte ihn seines Amtes enthoben.
In der Zeit nach Bao Sen-Hos Rücktritt herrschte
Chaos, denn nachdem Shenzongs Heer seinen starken Anführer verloren hatte,
geriet es in eine Art Trauma und konnte an die anfänglichen Erfolge nicht
anknüpfen. Shenzong war darüber sehr erzürnt, erkannte aber, dass einzig Wang
Anshi ihn aus der misslichen Lage befreien konnte. Zwei Jahre nach seiner
Amtsenthebung setzte er ihn erneut als Kanzler ein. Doch Wang Anshi erreichte
nie wieder den Stellenwert, den er einst besessen hatte. Xia erstarkte, und obwohl
sie mit einer Minderheit in den Krieg gezogen waren, hatten sie über Jahre
hinweg gegen das Heer der Song gewinnen können. In der Schlacht um die Stadt
Yongle im Jahre 1082 wurden Shenzongs Armeen schließlich sogar besiegt. Wang
Anshis Reformen hatten zwar mehr als zehn Jahre lang zu erhöhten
Steuereinnahmen, zu größerer militärischer Stärke und zur Steigerung der
landwirtschaftlichen Produktion beigetragen, doch sie hatte auf der anderen
Seite auch die Privilegien der hohen Beamten eingeschränkt.
Als Shenzong schließlich im Frühling 1085 überraschend
im Alter von sechsunddreißig Jahren starb – es gab
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