Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)
es grasen konnte, wo es wollte, ohne
sich dabei allzu weit zu entfernen. Ich selbst nahm am Rande des Teiches Platz
und packte meine mitgebrachte Mahlzeit aus. In meinem Lederbeutel fand ich ein
paar Stücke Brot und ein paar Kemiri-Nüsse. Das Wasser aus meinem Beutel war
noch angenehm kühl und ich nahm einige Schlucke. Zufrieden legte ich mich
zurück und betrachtete den Himmel. Durch die Baumkronen konnte ich das Blau
erkennen und sah die Wolken, die vorbei zogen. Der Wind wehte leise durch die
Blätter und ließ die Baumspitzen hin und her wiegen. Das Rauschen machte mich
schläfrig; ich schloss die Augen und lauschte dem Treiben der Natur. Ab und an
knackte es im Gehölz, die Vögel zwitscherten und in der Nähe hämmerte ein
Specht an einem Baum. Unmittelbar neben meinem Ohr hörte ich Ning , wie
sie büschelweise Gräser abbiss und verspeiste. Die glatte Wasseroberfläche
wurde ab und an durch ein Plätschern gebrochen, wenn ein Fisch nach einer
Fliege schnappte, und hin und wieder summte ein Insekt.
Die Atmosphäre veränderte sich und ich schreckte
hoch. Offenbar war ich eingedöst. Vielleicht hatten mich auch die Flügelschläge
aufgebrachter Vögel geweckt und ich hatte das Gefühl, als wäre ich nicht mehr
alleine. Ich stand auf und sah mich genau um. Doch niemand war zu sehen.
Schnell packte ich meine Sachen zusammen und ging
zu Ning , die ebenfalls die Ohren aufgestellt hatte.
„Hörst du auch etwas?“, fragte ich das Pferd, als
erwartete ich tatsächlich eine Antwort.
Ning schnaufte und schüttelte ihre Mähne.
Zügig saß ich auf und steuerte den Rückweg an. Die Sonne war schon um einiges
weitergezogen auf ihrer Bahn. Ich hatte den halben Nachmittag verschlafen.
Auf dem Rückweg begegnete ich niemandem, und war
darüber sehr froh. Vielleicht war ein größeres Tier in der Nähe gewesen und
hatte die Vögel aufgeschreckt. Ich würde sicherheitshalber ein paar Tage
warten, bis ich wieder hierher käme.
Derweilen kündigte sich im Palast die Rückkehr der
Ehrwürdigen Hauptfrau an. Sie hatte die kalten Wintertage und den Frühling in
ihrem Sommersitz am Meer verbracht und würde nun in den nächsten Tagen im
Palast eintreffen. Böse Zungen meinten, Shinlans neues Kind wäre schuld an der
Rückkehr, denn Suan-Jen hatte noch immer keinen legitimen Nachfolger für
Shenzong geboren, obwohl sie bereits über dreißig Sommer zählte. Die Minister
drängten schon seit langem darauf, dass in der Nachfolgerfrage endlich etwas
voranginge. Deshalb hatten sie beschlossen, ein Testament aufzusetzen, in dem
festgelegt wurde, dass Shinlans erster Sohn dem Kaiser Shenzong auf den Thron
folgen solle, wenn Suan-Jen nicht seinen Sohn gebären würde.
Nun war Shinlans Neugeborenes tatsächlich ein
Junge geworden und der ganze Hof freute sich über den Knaben Dan-Dan. Shinlan
war sehr beliebt – beliebter als die Hauptfrau – und natürlich war die Freude
verhalten, als man von deren Rückkehr erfuhr.
„Was will sie denn hier?“, jammerte Su-Ling, die
sehr wohl wusste, welchen Plan die Ehrwürdige Hauptfrau hatte.
Shinlan, die sich bereits gut von den Strapazen
der Geburt erholt hatte, lachte. „Das weißt du doch genau. Und das ist auch der
Grund für deine Verstimmung. Wann hatte er das letzte Mal Zeit für dich?“
Su-Ling setzte ein betrübtes Gesicht auf. „Seit
ihrer Ankunft erst zwei Mal.“
Shinlan gluckste. „Wenn man bedenkt, dass das nun
schon zwei Wochen sind, dann kann ich nachvollziehen, dass das für dich ‚erst‘
zwei Mal sind. Wenn man Min-Tao fragen würde, sie würde das ganz anders sehen.“
Shinlan sah sich um. „Nicht wahr, meine Liebe?“, witzelte sie in meine
Richtung.
Ich lächelte zurück. Seit er mir das Pferd
geschenkt hatte und ich die damit verbundenen Freiheiten genoss, hatte ich an diese Angelegenheiten nicht mehr gedacht und war zu der Überzeugung gekommen,
vielleicht auch ein oder zwei Mal zur Verfügung zu stehen, in Anbetracht
dessen, was Shenzong mir ermöglicht hatte. Dass er dennoch nicht nach mir rief,
erfreute mich umso mehr.
„Du wirst sehen“, fuhr Shinlan fort. „Sowie sie
schwanger ist, wird sie wieder abreisen. Sie erträgt den alten Kanzler noch
weniger als zuvor, seit sie glaubt, das mit Dan-Dan wäre seine Idee gewesen.“
Shinlan blickte auf den kleinen Kerl, der genüsslich an der Brust seiner Mutter
trank und vollkommen unschuldig drein blickte. Was kümmerte ihn die Welt der
Politik da draußen, solange er die ihm zustehende Milch bekam,
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