Die Geliebte des Koenigs
nach Hause und nicht weggelaufen!“
„Jesslyn, mach dir nichts vor! Wir können dem Jungen nicht helfen.“
Sie schüttelte den Kopf. Sie würde die schlimme Anschuldigung nicht glauben, ehe sie es nicht selbst von Aaron hörte. „Ich muss ihn sehen.“
„Das wird nicht gehen. Sie haben seine Eltern benachrichtigt, aber vorher will ihn die Polizei verhören.“
Jesslyn schloss die Augen und atmete ein paarmal tief durch. „Du behauptest ernsthaft, sie lassen mich nicht zu ihm? Auch nicht, wenn Scheich Sharif Fehz verlangt, den Jungen zu sehen?“
Er seufzte. „Jesslyn.“
Ihr Herz schlug bis zum Hals. „Du kannst mir helfen, zu Aaron vorgelassen zu werden.“
Das Schweigen am anderen Ende der Leitung zerrte an Jesslyns Nerven.
„Ich weiß ja, wie sehr du dich für deine Schüler engagierst, aber …“
„Sharif … bitte …“ Ihre Stimme brach. „Bitte.“
Erneutes Schweigen, bis Sharif endlich tief seufzte. „Ich schicke dir meinen Wagen, laeela , aber stell dir das Ganze nicht zu einfach vor. Mach dir bitte klar, dass er quasi überführt ist.“
In weniger als einer Stunde erschien Sharifs Wagen vor der Tür. Während Jesslyn auf dem Rücksitz der schwarzen Limousine saß, spielte sie die Szene vom Nachmittag wieder und wieder in Gedanken durch.
Aaron hatte sehr aufgeregt gewirkt, als er ihr das Geschenk übergeben hatte. Seine ungewohnte Sentimentalität hatte sie gerührt. Aber war das bloß gespielt gewesen? Oder ein Trick? Und das Päckchen nur ein Täuschungsmanöver, um sie von seinem eigentlichen Vorhaben abzulenken?
Jesslyn war noch zu keinem Schluss gekommen, als der Wagen vor der Polizeistation hielt. Sharif, der schon vor ihr eingetroffen war, kam ihr entgegen.
Während sie auf den Fahrer gewartet hatte, hatte Jesslyn sich rasch umgezogen. Da hierzulande Männer wie Frauen ihre Figur traditionell eher verhüllten, hatte sie ein konservatives schokofarbenes Leinenensemble mit weit geschnittener Jacke und geradem, langem Rock gewählt. Auch Sharif hatte die Kleidung gewechselt.
Er hielt ihr die Hand entgegen, als sie aus dem Auto stieg – eine Geste, die sie angesichts der vielen Zuschauer um sie herum schlecht ignorieren konnte.
Widerwillig legte sie ihre Hand in die seine und fühlte, wie sich seine Finger um ihre Hand schlossen.
„Dir ist kalt“, stellte er fest, als sie nebeneinander die wenigen Stufen zur Polizeiwache hinaufgingen.
„Ich bin nur nervös“, gestand sie. Besorgt schaute sie zum Himmel empor, bevor sie durch die Tür ging. Es wurde bereits langsam dunkel. In knapp drei Stunden musste sie an Bord ihres Fliegers sein.
„Dann glaubst du inzwischen auch an seine Schuld?“, fragte Sharif.
„Nein, niemals!“, gab sie zurück. „Ich sorge mich einfach um ihn. Wenn man seine Eltern tatsächlich herbestellt hat, müssen sie ziemlich aufgebracht sein. Und er ebenso. Oh, ich wünschte, das alles wäre nie passiert!“
Umringt von Sharifs Leibwächtern betraten sie die Polizeistation. Der ganze Rummel machte Jesslyn zu schaffen. Überall traf man heute auf seine Sicherheitsleute.
Möglicherweise war es aber auch Sharif selbst, der sie aus der Fassung brachte, weil er so dicht neben ihr ging.
Sharif wurde von den Beamten mit größtem Respekt behandelt. Der gesamte Stab – von den diensthabenden Polizisten, über die Kriminalbeamten, bis hin zum Polizeichef – war zur offiziellen Begrüßung angetreten. Und nach einem mindestens zehnminütigen Austausch von Höflichkeiten zogen der Polizeichef und Sharif sich zu einem Gespräch unter vier Augen zurück.
Ängstlich und angespannt wartete Jesslyn auf ihre Rückkehr und betete stumm, dass es Sharif gelang, ihr ein Treffen mit Aaron zu ermöglichen. Endlich öffnete sich die Tür, und sie wurde hereingerufen. „Wir haben die Genehmigung erhalten, mit deinem Schüler zu reden. Du darfst ihn fragen, was du willst. Aber es spricht wirklich einiges gegen ihn.“ Sharif blickte sie eindringlich an. „Wenn sich der Verdacht bestätigt … Jesslyn, die Konsequenzen wären sehr unangenehm.“
Genau das war es, was sie befürchtete.
Schardscha war für Jesslyn so etwas wie eine zweite Heimat geworden. Es lag ihr fern, hiesige Gepflogenheiten kritisieren zu wollen, zumal Regierung und Polizei wirklich ihr Bestes taten, um allen gerecht zu werden – westlichen Besuchern und Arbeitnehmern ebenso wie der arabischen Bevölkerung. Trotzdem konnte es hier auch gefährlich werden, besonders für leichtsinnige oder
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