Die Geliebte des Koenigs
gesenkt standen die drei kleinen Mädchen im Palasteingang vor ihrem Vater. Nicht einmal sahen sie ihren Vater an.
„Meine Töchter“, sagte Sharif. Seine Stimme ließ für Jesslyns Empfinden jegliche Wärme vermissen, als er die Kleinen der Reihe nach vorstellte. „Jinan ist die Älteste, Saba die Mittlere und Takia die Kleinste.“
Jedes Kind deutete eine Verbeugung an. Aber sie sagten kein Wort und warfen ihrer neuen Lehrerin auch keinen neugierigen Blick zu.
Jesslyn wusste, dass Sharif sie nicht aus den Augen ließ, um in ihrem Gesicht zu lesen, was sie dachte. Glücklicherweise gelang es ihr, ihre wahren Gefühle hinter einer professionellen Miene zu verbergen – denn offen gestanden war sie schockiert. Die Kinder wirkten wie wunderschöne, aber leblose Puppen.
Wenn Kinder in dieser Verfassung in einer ihrer Klassen gewesen wären, hätte sie sofort an Misshandlung gedacht. Ob durch Hunger, Liebesentzug, körperlichen oder seelischen Missbrauch, konnte man in so einem Fall nicht auf Anhieb sagen. Und auch bei Sharifs Töchtern wusste sie nicht, was ihnen fehlte. Doch sie würde noch dahinterkommen, was es war.
Und während sie stumm auf die drei kleinen dunklen Köpfe vor sich schaute, schwor sie sich, es schnell herauszufinden. Das war sie den Mädchen schuldig – und Jamila und Aman, ihren verstorbenen Tanten, deren Nichten Besseres verdient hatten.
Eine halbe Stunde später zog Jesslyn sich mit den dreien in ihr hübsches Wohnzimmer zurück.
Sie nahm ein paar Seidenkissen vom Sofa und legte sie in einem Kreis auf dem Boden aus. Dann ließ sie sich zusammen mit den Mädchen im Schneidersitz auf den Kissen nieder. Aufmerksam betrachtete sie sie. Es waren zauberhafte, ausgesprochen hübsche Kinder mit ebenmäßigen, schmalen Gesichtern, riesigen dunklen Augen und dunklen Locken. In einem anderen Kulturkreis hätte sich wahrscheinlich jede Kindermodel-Agentur um die drei gerissen.
„Wir werden jetzt ein Spiel spielen“, sagte Jesslyn fröhlich. Sie musste das Vertrauen der Kinder gewinnen – damit sie ihnen helfen konnte. Und damit die Kinder eines Tages ihr Lachen wiederfanden. „Gibt es ein Spiel, das euch besonders gut gefällt?“
Die Mädchen starrten sie nur stumm an.
„Ich spiele jedenfalls unheimlich gern“, fuhr Jesslyn locker fort. „Dann bringe ich euch eben als Erstes eines von meinen Lieblingsspielen bei. Es heißt: Der Plumpsack geht um .“
Die kleinen, ernsten Gesichter verschlossen sich noch mehr.
„Also, passt auf …“, begann Jesslyn und erhob sich wieder vom Boden. „Ihr setzt euch im Kreis hin, und ich gehe außen um euch herum. Irgendwann lasse ich einen kleinen Ball hinter eine von euch fallen. Diejenige muss dann aufspringen und versuchen, mich zu fangen.“
„Warum sollte jemand dich fangen wollen?“, platzte Saba heraus, und alle drei warteten gespannt auf Jesslyns Antwort.
Jesslyn zuckte mit den Schultern. „Einfach nur, weil es Spaß macht. Ihr werdet es selbst feststellen, wenn wir erst mal anfangen.“
„Und warum heißt es Plumpsack ?“, wollte die kleine Takia wissen.
„Entschuldigung“, mischte sich Jinan, die älteste der drei Schwestern, ein. „Aber Jaddah , unsere Großmutter, hat gesagt, dass wir hier etwas lernen werden. Warum machen wir nicht Mathematik oder lesen Bücher?“
Ohne eine Miene zu verziehen, erwiderte Jesslyn: „Ihr lernt also lieber Mathematik, statt herumzurennen und zu spielen?“
„Spielen ist nur was für Babys“, sagte Saba.
Jesslyn verbiss sich ein Lächeln. „Euer Vater hat mir gesagt, ihr seid fünf, sechs und sieben Jahre alt, stimmt das?“
„Jinan ist letzte Woche schon acht geworden, und ich werde in zwei Monaten sieben“, korrigierte Saba.
„Wie schön!“, rief Jesslyn aus und wandte sich Jinan zu. „Hattest du eine tolle Geburtstagsparty?“
Jinan schüttelte den Kopf.
„Warum nicht?“
„Partys sind nur etwas für kleine Kinder.“
„Ah, langsam sehe ich klar …“, murmelte Jesslyn und legte sich bereits im Kopf zurecht, was sie Sharif bei nächster Gelegenheit sagen würde.
„Was siehst du?“, fragte Takia verwirrt.
„Wie alles zusammenhängt. Warum ihr nicht spielen oder feiern wollt. Ihr seid wohl inzwischen alle bereits in dem Alter, in dem ihr darüber nachdenkt, auf welche Hochschule ihr demnächst gehen wollt, stimmt’s?“
Mit weit aufgerissenen Augen starrte Takia sie an. „Ich will nicht auf die Ho… auf die Hochschule!“, jammerte sie plötzlich. „Ich hasse die
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