Die Geliebte des Koenigs
Unterlagen an sich. „Und Sie bringen ihn gerade durcheinander.“
Jesslyn hielt dem Blick der Königin stand. „Nun, da ich nicht beabsichtige, diesen Ordner zu benutzen, können Sie ihn gern wieder an sich nehmen.“
„Aber er schreibt vor, wie Sie Ihre Arbeit hier auszuführen haben!“
„Danke. Ich brauche niemanden, der mir erklärt, wie ich meinen Job zu erledigen habe.“ Jesslyn erhob sich, um mit Sharifs Mutter auf Augenhöhe zu sein. „Außerdem habe ich bereits einen eigenen Plan aufgestellt.“
„Diesen Ordner benutzen wir schon lange. Also werden auch Sie sich diesen Anweisungen beugen.“
„Nein.“
„Wie bitte?“
„Nein, Eure Hoheit …“ Jesslyn blickte in Königin Reynas verblüfftes Gesicht und verspürte so etwas wie ein kleines Triumphgefühl. Sie hatte nicht vor, hier mit irgendjemandem Krieg anzufangen. Sie war hier, um Sharifs Kindern zu helfen. „Die Kinder wirken völlig verstört und deprimiert. Ich habe noch nie so verschlossene und unglückliche Geschöpfe gesehen wie diese drei. Und daran ist ganz sicher zum Teil auch der Inhalt dieses Ordners schuld.“
„Wie können Sie so etwas sagen? Die Mädchen hinken in der Schule hinterher …“
„Laut ihrer Direktorin betrifft das ausschließlich Takia. Ich habe mir den Brief noch einmal durchgelesen. Und Takia hat Schwierigkeiten in der Schule, weil sie Heimweh hat. Meiner Ansicht nach ist sie noch viel zu jung für die Schule …“
„Es reicht!“, unterbrach Königin Reyna sie kühl. „Sie kennen die Kinder nicht einmal. Sie haben sie gerade erst getroffen. Und außerdem sind Sie nicht in der Position, um in diesem Ton mit mir zu sprechen.“
Vor neun Jahren hätte sie Jesslyn damit noch erfolgreich verunsichern können, aber das war lange vorbei. „Vielleicht kenne ich die Mädchen tatsächlich noch nicht sehr gut, Eure Hoheit, aber die Arbeit mit Kindern ist mein täglich Brot. Ich weiß, wie man sie unterrichtet. Und ich werde sie unterrichten – auf meine Weise.“
„Ich spreche mit Sharif!“
„Ich wünschte, Sie würden das tun. Und teilen Sie ihm bei dieser Gelegenheit auch bitte mit, dass ich ihn ebenfalls unbedingt zu sprechen wünsche.“
8. KAPITEL
Jesslyn wartete den ganzen Abend darauf, zu Sharif gerufen zu werden. Sie blieb extra angezogen, um gleich aufbrechen zu können, wenn er für sie Zeit hatte. Über Mehta und über Sharifs persönlichen Butler hatte sie ihm zusätzliche Nachrichten zukommen lassen – doch nichts geschah.
Gegen Mitternacht war sie schließlich vollkommen entnervt und ging ins Bett.
Am nächsten Morgen erfuhr sie dann, dass Sharif bis zum Wochenende in Paris weilen würde.
Es wäre nett gewesen, wenn er mich davon unterrichtet hätte, dachte Jesslyn verstimmt.
Die nächsten Tage vergingen wie im Flug. Jesslyn erkundete behutsam, wo die Stärken und Talente der Kinder lagen, und begann langsam mit dem Unterricht. Die Kinder waren gescheit und lernten gern. Und als Jesslyn sie für ihr flüssiges Lesen und Schreiben lobte, blühten die drei regelrecht auf. Ab und zu schenkten sie ihrer Lehrerin sogar ein schüchternes Lächeln.
Jesslyn zählte die Tage und Stunden bis zu Sharifs Rückkehr. Es gab so viele Dinge, die sie unbedingt mit ihm besprechen wollte. Doch am nächsten Morgen wurde sie von seiner Mutter kühl darüber informiert, dass Sharif nur kurz im Palast sein würde. In aller Frühe musste er zur nächsten Geschäftsreise aufbrechen – und deshalb würde er ganz sicher keine Zeit haben, um sie zu sehen.
„Aber er wird doch sicher die Kinder treffen, oder?“, fragte Jesslyn und versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.
„Natürlich. Sie sind schließlich seine Familie.“
Und wieder hörte sie tagelang nichts von Sharif. Doch immerhin ließ er ihr eine Nachricht überbringen, dass er sie nach dieser Reise sehen und mit ihr über ihre Sorgen reden würde.
Meine Sorgen, dachte Jesslyn, als sie in der Bibliothek saß und die Kinder beaufsichtigte, die Mathematikaufgaben lösten. Ihre Sorgen waren auch seine Sorgen. Denn sie machte sich Sorgen um seine Kinder.
„Habt ihr euren Vater eigentlich gesehen, als er hier war?“, fragte sie die Mädchen beiläufig.
Jinan nickte. „Er hat uns gestern Abend Gute Nacht gesagt.“
„Hat er euch auch eine Geschichte vorgelesen?“
Saba schürzte die Lippen. „Er liest nicht.“
„Er liest schon“, korrigierte Jinan sie. „Er liest uns nur keine Geschichten vor.“
„Aber es war
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