Die Geliebte des Kosaken
Gleichzeitig spürte sie, dass Andrej ihre Hand gefasst hatte und sie fest drückte. Ein warnender Blick aus seinen blauen Augen traf sie.
„Nun“, ergriff Andrej rasch wieder das Wort, „wir sind in Eile, meine Schwester und ich. Da das Gewitter sich gelegt hat, wollen wir den Rest des Tages nutzen, um unsere Reise fortzusetzen. Es hat mein Herz erfreut, euch wiederzusehen, meine Freunde …“
Er machte einige Schritte Richtung Tür und zog Natalja hinter sich her, doch der Versuch misslang, denn Bogdan stellte sich ihm entgegen. „Nicht so rasch, Brüderchen“, sagte er in freundlichem Ton, „wir haben uns so lange nicht gesehen, da wollen wir doch nicht gleich wieder auseinanderlaufen. Lass uns miteinander trinken und feiern nach Kosakenart.“
„Und ich sage, dass ich heute keine Zeit habe, Brüderchen. Ein anderes Mal gern“, knurrte Andrej und streckte die Hand aus, um Bogdan beiseitezuschieben. Doch der stand wie ein Fels vor ihm, entschlossen, keinen Zentimeter zur Seite zu weichen, und seine Kumpane waren jetzt dicht neben ihn getreten. Alle lächelten Andrej an, doch lag in ihren Gesichtern zugleich etwas Lauerndes, das Natalja an den Gesichtsausdruck der Köchin daheim auf dem Gutshof erinnerte, wenn sie die Hähnchen im Hühnerstall betrachtete.
„Wohin zieht es dich denn so eilig, Andrjuscha?“, fragte Wasilij mit hoher Fistelstimme.
Stenka stieß ihn mit dem Ellbogen in die Seite und kicherte. „Er muss das Schwesterlein zum Bräutigam führen, Dummkopf. Wird schon große Sehnsucht haben, der Glückliche, der sie zur Frau bekommt.“
Wasilij brach jetzt in brüllendes Gelächter aus und steckte die anderen damit an. Natalja erzitterte, denn das Lachen dieser Kerle glich einer Naturgewalt.
„Schluss jetzt!“, schimpfte Andrej. „Geh zur Seite, Bogdan. Oder ich werde mir den Weg frei machen!“
Bogdans Bauch hüpfte im Gelächter auf und ab. „Oho! Brüderchen!“, rief er. „Wohin geht denn der Weg, der eilige?“
„Nach Perm“, sagte Natalja und spürte im gleichen Augenblick, wie Andrej ihre Hand so fest drückte, dass es weh tat. Sie erschrak und begriff, dass sie besser geschwiegen hätte.
„Nach Perm!“
„Da schau an!“
Das Gelächter war verstummt, stattdessen fixierten die Kosaken sie jetzt mit unverhohlener Feindseligkeit. Verständnisinnige Blicke wanderten hin und her, man blinzelte sich zu, ein böser Verdacht schien sich bestätigt zu haben. „Der Bräutigam wartet also in Perm“, stellte Bogdan fest. „Warum sagst du das nicht gleich, Andrjuscha. Ist es vielleicht gar unser guter Freund Oleg, der dein Schwesterlein zur Frau bekommt?“
„Was geht euch das an?“
Doch Nataljas weit aufgerissene Augen und das Entsetzen in ihrem Gesicht hatten den Kosaken längst verraten, dass ihre Vermutung richtig war. Andrej bedauerte jetzt zutiefst, Natalja nicht vor der Reise eingeschärft zu haben, mit niemandem über Ziel und Absicht der Fahrt zu sprechen. Jetzt war es zu spät.
Bogdans Züge zeigten ein listiges Grinsen, und seine kleinen, dunklen Äuglein blitzten. „Wenn das so ist, Brüderchen“, rief er und breitete die Arme aus, „dann ist es Ehrensache für uns Kosaken, die Brautfahrt zu begleiten. Unser heiliges Russland ist ein wildes und gefährliches Land – viel kann da einer schönen, jungen Braut passieren. Du wirst froh sein, Andrjuscha, dass deine alten Freunde deine Schwester beschützen werden.“
Andrej sah ein, dass er keine Chance hatte, denn draußen vor der Scheune standen weitere zehn Kosaken, die auf Bogdans Befehl über ihn hergefallen wären. Er verfluchte diesen Zufall, der ihm die Kosaken über den Weg hatte laufen lassen, bevor er Natalja sicher nach Perm bringen konnte. Nun war es jedoch klar, dass die Kosaken das Gold nicht besaßen, sonst hätten sie sich nicht hier in der Gegend herumgetrieben, sondern unten am Don ihre Beute verjubelt. Jetzt glaubten sie wahrscheinlich, er habe sie absichtlich betrogen und sei unterwegs, um sich das Gold zu holen. Er würde ihnen einiges erklären müssen, jedoch möglichst so unauffällig, dass Natalja nichts mitbekam. Keine einfache Sache.
„Wir nehmen euer Angebot an“, erklärte er, „du hast recht, Bogdan – alte Freunde sollten feiern, wenn sie sich treffen.“
Die Mienen der Kosaken erhellten sich, scheinbar freuten sie sich tatsächlich über Andrejs Einlenken. Im Nu waren alle Meinungsverschiedenheiten vergessen, man schob das Stroh beiseite, um genügend Platz für alle zu
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